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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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Ich war noch keine achtzehn und wollte leben. Und wenn möglich zusammen mit dem Riesenarsch. Wenigstens ab und zu.
    Er liebte mich und ich liebte ihn. Es musste doch möglich sein, daraus etwas zu machen. Normales Leben. Pffft. Was war schon je­mals normal gewesen bei mir?
    Und wenn er starb, konnte auch ich sterben. Ich wollte ohnehin keinen anderen Mann mehr. Es würde mir immer so Vorkommen, als würde ich Colin betrügen. Und ich würde vergebens nach spit­zen Ohren suchen oder darauf warten, dass unsere Haare miteinan­der Friseur spielten.
    Also blieb mir nichts anderes übrig, als hier, in Colins Haus, auf Tessas Ankunft zu warten und zu hoffen, dass mein irrwitziger Plan uns zumindest Zeit verschaffen konnte. Wenn Tessa erst einmal ab­gelenkt war, konnte ich vielleicht nach Colin suchen und zusammen mit ihm in den Tod stürzen.
    Colin hatte mehrfach betont, dass Tessa dumm war. Ich war es jedenfalls nicht. Ein schwacher Trost, wo ich es doch mit über­menschlichen Kräften zu tun hatte. Aber ich musste mich irgendwie aufrecht halten, denn mir war vor Angst so übel, dass ich das Gefühl hatte, mein Herz würde im nächsten Moment aus meiner Kehle springen. Noch schwieriger aber war es, das grelle Surren in meinem Kopf zu ertragen, ohne den Verstand zu verlieren. Immer wieder musste ich mich selbst davon abhalten, meinen Schädel gegen die Wand zu schlagen.
    Die Dämmerung kam schnell. Noch einmal bäumte sich der Sommer mit aller Macht auf, obwohl er längst verloren hatte. Flim­mernde Wolken von Abertausend Glühwürmchen schwärmten um die im sachten Wind flüsternden Büsche und die Bäume dufteten intensiv nach feuchten Blättern und wilden Blüten. Der Gesang der Zikaden klagte und litt. Er brachte mir den Sommer zurück. Ich fühlte den warmen Abendhauch in meinen Haaren und Colins kühle Haut an meinem Bauch. Doch am Boden breitete sich der blaugraue Nebel aus, wie ein Tier, das unaufhörlich wuchs und sich aufblähte, um alles um sich herum in grauenvoller Langsamkeit zu verschlingen. Zwischen den wogenden Tannenspitzen stieg der blutrote Vollmond empor und ließ die schwarz gezackten Regen­wolken erhaben an sich vorüberjagen. Dort oben musste ein Sturm toben.
    Noch immer war ich in Colins Schlafzimmer und sang vor mich hin, um das Surren auszusperren und mich zu beruhigen. Langsam fielen mir keine Lieder mehr ein. Doch, eines gab es da noch. Ich musste lächeln, als ich daran dachte, wie Mama es mir früher immer vorgesungen hatte. Die Blümelein, sie schlafen. Ich ging ans Fenster und blickte auf die Nebelschwaden, die um die Bäume waberten und all die Spinnennetze zwischen den Farnen und Gräsern mit unzähligen glitzernden Tropfen überzogen. Die Glühwürmchen waren verschwunden. Keine Zikade sang mehr. Es war totenstill ge­worden. Da war nur das immer stärker werdende, vibrierende Sur­ren in meinen Ohren.
    »Die Blümelein, sie schlafen schon längst im Mondenschein«, sang ich mit brüchiger Stimme dagegen an. »Sie nicken mit den Köpfen auf ihren Stängelein ...«
    Eine Gestalt trat aus dem Nebel, klein gewachsen und zierlich. Schnurgerade trippelte sie auf das Haus zu, als würde eine unsicht­bare Leine sie führen. Ihr langes rotes Haar wallte bis auf die Hüften. Sacht bauschten sich ihre Gewänder, obwohl kein Wind mehr ging. Die Blätter an den Bäumen um sie herum verfärbten sich und fielen langsam auf den Boden. Es war, als wäre die Natur plötzlich und für immer gestorben. Nichts regte sich mehr. Doch dies war keiner meiner apokalyptischen Albträume, aus denen ich irgendwann er­wachte. Ich schlief nicht. Es geschah wirklich. »Es rüttelt sich der
    Blütenbaum, er säuselt wie im Traum«, sang ich wispernd weiter und trat rückwärts vom Fenster weg.
    Ich musste nach unten gehen. Sie empfangen.
    Schon hörte ich, wie ihre Fingernägel über den schweren Eisen­ring an der Haustür kratzten.
    »Schlafe, schlafe, schlaf ein, mein Kindelein.«
    Ich öffnete die Tür.

    Träum süss
    Noch als ich die Klinke hinunterdrückte, nahm ich mir fest vor, nicht in ihr Gesicht zu sehen. Eifersucht und Neid konnte ich jetzt nicht gebrauchen. Ich musste bei klarem Verstand bleiben.
    Ich blickte nur auf ihre Füße; aberwitzig kleine Füße, die in wei­ches Leder geschnürt worden waren und deren Spitzen aus den zerfledderten Säumen ihrer Röcke und Umhänge hervorlugten. Eine erstickende Mischung aus Moder, Schimmel und Moschus streifte meine Nase. Ich musste schlucken, um mein

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