Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
Vom Netzwerk:
Angst hatte ich keine. Im Vergleich zu dem, was mich da draußen erwartete, war diese Höllentour vermutlich eine lustige Spazierfahrt.
    Tillmann bog, ohne zu blinken, von der Landstraße in einen Schotterweg ein und hielt abrupt an. Flink schaltete er die Scheinwerfer aus.
    »Was ist los?«, fragte ich und löste meinen Blick von der Spinne, die zögerlich ihre Beine aufzustellen begann. Ein jäher Schauer durchlief ihren Panzer. Wir waren auf dem richtigen Weg.
    »Treibjagd«, sagte Tillmann knapp und deutete nach vorne. »Sie bereiten die Treibjagd vor.«
    Am Ende des Weges flatterte ein Absperrband im Wind und ich sah eine Truppe von Jägern, die mit dampfendem Atem in der Kälte standen und ihre Gewehre überprüften. Das gehetzte Kläffen der Hunde schallte bis zu uns herüber. Die Spinne erhob drohend ihre Fangarme.
    »Wir müssen da durch. Es geht nicht anders. Die denken be­stimmt, wir gehören zu ihnen, vielleicht erkennen sie sogar Colins Wagen und Colin ist immerhin Jäger. Fahr einfach. Aber bring nie­manden um dabei.«
    »Ellie - das da vorne ist Bennis Vater!«
    »Na und? Er weiß ja nicht, dass wir im Wagen sitzen. Das geht so schnell, das kriegen die gar nicht mit.«
    Kopfschüttelnd sah Tillmann mich an. Seine Nase war blass ge­worden, doch eingeschüchtert oder gar ängstlich wirkte er nicht.
    »Du bist total bescheuert, Ellie«, sagte er grinsend.
    »Ja, und jetzt fahr, aber lass das Licht aus!« Er trat das Gaspedal durch. Aufröhrend schossen wir an den Jägern vorüber und für Se­kunden blickte ich in erstaunt aufgerissene Augen und Münder. Dann durchpflügte der Wagen brutal die Absperrungsbänder. Eines blieb wie ein fehlgeleitetes Hochzeitsfähnchen am Außenspiegel hängen, bis ein Zweig es im Vorbeifahren abriss. Ich drehte mich hastig um. Wir wurden nicht verfolgt.
    »Weiter geradeaus«, gab ich Tillmann die Richtung vor. Nach ei­nigen Metern ließ die Spinne ihre Fangarme sinken. »Nein, rechts, probier rechts.« Den Weg hatten wir sowieso längst verlassen. Der Wald wurde immer dichter und ab und zu kippte der Wagen gefähr­lich zur Seite, wenn die Reifen sich wieder einmal über einen Fels­brocken oder quer liegende Äste kämpfen mussten.
    »Ellie, ich seh kaum mehr was«, beschwerte sich Tillmann und kniff suchend die Augen zusammen.
    »Ich aber. Ich sag dir, wo es weitergeht, okay? Rechts!«, brüllte ich. Reaktionsschnell gehorchte er, bevor der Wagen die Böschung hi­nunter in eine Schlucht stürzen konnte. Rumpelnd fing er sich.
    Schnaufend fuhr Tillmann weiter. Zwischendurch griff er mecha­nisch nach seinem Spray und inhalierte.
    »Yes«, sagte ich zufrieden, als die Spinne kaum merklich, dann aber immer stärker zu zittern begann und schließlich aufgepeitscht gegen den Deckel sprang. Der Wagen raste über ein Schlagloch und unsere Köpfe prallten hart gegeneinander. Rasch angelte sich Till­mann das Lenkrad zurück, um zwei Bäumen auszuweichen. Dann musste er anhalten. Ein schwerer, dicker Stamm lag quer und rund­herum wuchsen die Tannen zu dicht, um durchzukommen. Jetzt konnten wir nur stehen bleiben oder umkehren.
    »Ende Gelände«, kommentierte Tillmann lakonisch und lehnte sich aufstöhnend zurück. Er warf einen angeekelten Blick auf die Spinne, die immer wieder gegen das Glas sprang und am ganzen Leib zitterte. Inzwischen regnete es Bindfäden. Doch der Himmel verfärbte sich in ein nasses dunkles Grau. Der Morgen nahte.
    »Ich glaube, das reicht«, beschloss ich.
    Tillmann stellte den Motor aus. Ich öffnete die Tür einen Spalt weit und lauschte. Kein einziger Vogel sang. Ich hörte nur das be­ständige, erstickende Rauschen und Prasseln des Regens. Wir waren in einem dichten Hänsel-und-Gretel-Wald gelandet. Eine hohe Tanne reihte sich an die nächste, die Stämme im unteren Bereich vollkommen kahl, der weiche Boden unter ihnen übersät von Na­deln. Hier würde es auch bei Tageslicht nie richtig hell werden.
    Ich schloss die Tür, drehte mich um und kroch auf die Ladefläche. Mit den Stoffstreifen aus dem Rucksack band ich mir all die Zweige an den Körper, die ich abgeschnitten hatte - Schwarzes Bilsenkraut, Nachtjasmin, Stechapfeltriebe, Engelstrompete, Bittersüßer Nacht­schatten und Alraunenwurzeln. Mama hatte sie zu Hunderten an­gepflanzt. Solanaceae. Nachtschattengewächse. Dann griff ich hastig nach den Orchideen und klemmte die Blütenstängel in meinen Zopf, unter mein Stirnband und zwischen die Stofffetzen, bis von meiner Haut und meinen

Weitere Kostenlose Bücher