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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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lief weiter, ohne zu überlegen, und folgte ausschließlich mei­nem Gefühl. Da - dort drüben klebte etwas an dem Stamm einer schräg im Unterholz hängenden Tanne, was nicht in den Wald ge­hörte. Ich trat näher. Es war ein dickes Büschel roter Haare. Sie hat­ten hier gekämpft. Obwohl der Wind nur ganz oben in den Baum­wipfeln rauschte, bewegten sich die verklebten Strähnen rhythmisch hin und her.
    Ich ließ mich auf den Boden fallen und kroch von Baumstamm zu Baumstamm, bis ich das ferne Glucksen eines Baches vernahm. Warum hörte ich sie nicht? Hielten sie gerade inne, um neue Kraft zu tanken? »Ich werde hoch oben sein«, hatte Colin geschrieben. Ihr von oben auflauern. Lautlos drehte ich mich auf den Rücken und starrte in die sich gespenstisch biegenden Tannenspitzen. Nichts.
    Doch dann erzitterte jäh die Erde unter mir. Ich fuhr herum und presste mich fest an den dicken Stamm zu meiner Linken. Ein un­menschliches Kreischen, schrill und tief zugleich, ließ mein Blut er­starren. Tessa. Sie griff an.
    Colin, rief ich in Gedanken. Ich bin da. Komm zu mir. Ich bringe dich weg. Komm her. Bitte. Aber wie sollte er mich hören? Ich hatte mich schließlich getarnt. Es gab kein Gut und kein Böse. Es gab nur zwei Mahre. Und einen davon musste ich überlisten.
    In das Kreischen mischte sich ein kehliges, dumpfes Grollen, das kein Ende zu nehmen schien und von seinem eigenen Echo eingeholt wurde. Irgendetwas splitterte und krachte, doch es hörte sich nicht nach Holz an. Ich robbte dem Grollen entgegen, bis meine Stirn gegen einen Felsbrocken stieß. Obwohl sofort Blut über meine Schläfe sickerte, war ich dankbar für den kühlen Stein an meiner Stirn. Er verbarg mich. Langsam, Millimeter für Millimeter, hob ich meinen orchideenbehangenen Kopf, bis meine Augen über den Felsrand spähen konnten.
    Jetzt wusste ich, was eben zerborsten war. Tessas Knochen. In seltsam verdrehter Haltung lag sie zwischen zwei Baumstümpfen, die Beine unnatürlich gespreizt, den Nacken überstreckt. Er hatte ihr das Rückgrat gebrochen. Wo war er? Ich blickte nach oben. Auf allen vieren, wie ein Tiger vor dem Sprung, kauerte Colin in schwindelerregender Höhe auf einem schmalen Ast. Er bog sich unter seinem Gewicht ächzend durch, doch Colin geriet nicht einen Augenblick aus der Balance. Statuenhaft verharrte er und blickte auf Tessa hinab, als wisse er genau, was nun geschehen würde.
    Tessa grunzte und ihre Haare bewegten sich schlängelnd zur Seite, bis der Regen ihr teigiges Gesicht überströmte. Wie konnte sie überhaupt noch leben? Colin stöhnte dumpf auf. Und jetzt hörte ich es auch - mit einem leisen, organischen Knistern wuchsen ihre Knochen wieder zusammen. Ihre Beine entspannten sich und ihre Halswirbel sprangen knirschend in die richtige Position. Atemberaubend schnell hockte sie sich auf ihre behaarten Füße, stieß ein triumphierendes Lachen aus und sah sich schnobernd um.
    Geräuschlos ließ Colin sich vor ihr auf den Boden fallen, und ehe Tessa seiner gewahr werden konnte, trafen seine Fußkanten ihr Ge­sicht. Schwarzbraunes Blut spritzte in Fontänen auf ihre Umhänge und verdampfte mit einem giftigen Zischen in der feuchten Luft. Colin wirbelte herum und hieb seine bandagierten Hände auf ihr Rückgrat und ihren Nacken. Wieder krachte es, bevor er ihr die an­gezogenen Knie in den Leib stieß. Tessa torkelte zu Boden, doch seine Berührungen schienen sie nicht im Geringsten zu schmerzen oder gar zu irritieren. Im Gegenteil - mit lüsternen Augen, der über­schminkte Mund speicheltriefend, sah sie dabei zu, wie Colin ihre Knochen brach, bis sie als entstelltes, blutendes Bündel auf dem Boden lag, das nur lange genug warten musste, um wieder zu Kräf­ten zu kommen.
    Rückwärts zog Colin sich in den Schatten einer Tanne zurück. Warum packte er sie nicht? Warum drückte er ihr nicht so lange die Kehle zu, bis all ihre Kräfte versiegten? Ohne seinen Blick von Tessas verdrehtem Körper zu lösen, wischte er mit seinen Händen heftig über den nassen Stamm der Tanne, als versuche er, sich damit rein­zuwaschen. Er ekelte sich immer noch vor ihr. Er wollte sie nicht anfassen. Trotz meines Entsetzens glomm ein kleiner, wärmender Funken Freude in meinem Bauch auf.
    Colin stockte und zog witternd die Luft ein. Mit einem gewaltigen Satz hatte er sich auf mich gestürzt und drückte mich so fest in den Grund, dass meine Wirbelsäule knackte. Rasende Angst überfiel mich, als er meine Kehle packte und mich mit

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