Splitterherz
wild funkelnden Augen anknurrte. Hinter uns knisterte und knirschte es leise. Tessa erholte sich.
»Verschwinde«, grollte Colin. Wütend bleckte er seine Zähne. War das der Colin, den ich gekannt hatte? Ich begann zu schlottern.
»Nein«, sagte ich tonlos, um Tessa nicht auf mich aufmerksam zu machen. »Ich habe einen Plan. Komm mit mir.«
Colin presste mich noch fester in den Boden. Ich versuchte, mein Knie anzuheben, um ihn wegzudrücken, aber ich hatte keine Gewalt über meinen Körper. Ich konnte nicht einmal mehr blinzeln oder meine Stimme benutzen. Doch denken konnte ich noch.
Lenk sie ab. Lenk sie ab und ich hol dich hier raus.
Zornig blitzte Colin mich an. Schon bekam ich keine Luft mehr. Sein Gewicht lastete zu schwer auf meinen gequetschten Lungen. Eine regengeschwängerte kalte Brise trieb Tessas gurrendes Kichern zu uns herüber. Sie war wieder bei sich.
»Nein«, gab er knurrend zurück. Er schloss einen Moment die Augen, küsste mich hart und lange und huschte dann wie eine Spinne den nächsten Baum hinauf. Ich konnte wieder Luft holen. Doch mein Körper war nach wie vor gelähmt.
Colin, du Mistkerl, fluchte ich in Gedanken. Was hatte er jetzt wohl vor - ihr erneut alle Knochen zertrümmern, um sie für einige Minuten außer Gefecht zu setzen und mich in der Zwischenzeit wegzuschaffen? Mit aller Macht und Konzentration versuchte ich mich auf die Seite zu rollen. Doch nicht einmal mein kleiner Finger zuckte. Auch meine Augen blieben starr offen. Nur meine Brust senkte sich atmend auf und ab, ohne dass ich es hätte steuern können.
Deshalb hatte ich auch keine Chance, die Luft anzuhalten, um mich vollkommen tot zu stellen, als plötzlich ein dunkler Schatten auf mein Gesicht fiel und ich in die bösen Augen eines massigen Keilers blickte. Schaum tropfte aus seiner schwarz glänzenden Nase und seine scharfen Hauer waren blutbenetzt. Auch über seine struppigen Flanken flossen dünne Blutrinnsale. Er musste von einem der Jäger angeschossen worden sein. Aufgebracht begann er die nasse Erde aufzuwühlen. Dann bewegte er sich sabbernd ein paar Meter seitwärts, wankte drohend hin und her und senkte brüllend sein Haupt, bis seine Hauer den Grund streiften. Er wollte mich töten.
Im nächsten Moment raste der Eber auf mich zu. Seine blutunterlaufenen Pupillen hefteten sich starr auf meine. Oh bitte, Colin, lass mich wenigstens die Augen schließen, wenn er sich über mich wirft und mich zerfetzt. Ich möchte an dich denken, dein Gesicht vor mir sehen, während ich sterbe. Bitte.
Mit einem markerschütternden Kreischen prallte der borstige Rumpf des Keilers gegen meinen Bauch. Mein Bein wurde aufgeschlitzt und ich spürte, wie das Blut meine Hose durchnässte. Jetzt. Jetzt war es so weit. Ich würde sterben. Doch mit einem Mal löste sich der wuchtige Körper von mir. Ich war frei - und ich konnte mich bewegen. Wieder quiekte der Keiler, doch diesmal klang es angsterfüllt. Ich warf mich zur Seite. Warmes rotes Blut spritzte mir ins Gesicht und in meinen vor Schrecken weit geöffneten Mund. Ich spuckte würgend aus.
Colin hatte den Keiler am Rücken gepackt. Er wuchtete das panisch mit den Läufen rudernde Tier weit über seine Schultern, als wiege es so viel wie eine Tüte Mehl, und warf es gegen den Felsbrocken. Die Augen des Ebers verdrehten sich. Ein Zucken durchlief sein borstiges Fell. Dann schlug er mit einem letzten Wimmern auf der Seite auf und rutschte schwer gegen mich. Grunzend vibrierte seine Nase, bis auch sie starr wurde und sich der Schaum an seinen Lefzen in durchsichtiges Eis zu verwandeln schien.
Doch schon näherte sich Tessa, mit lockend ausgebreiteten Armen und ihrem schrillen, leisen Singsang, die schlüpfrigen Augen voller Lust und Gier. Colin streifte mich mit einem vernichtenden Blick und ich verfiel wieder in den totenähnlichen Zustand von vorhin. Ich atmete, aber ich war nicht Herrin meiner Muskeln.
Geschickt wich Colin Tessa aus, doch wie bei Tillmann gestern wurden seine Bewegungen allmählich schwerfälliger. Wie lange mochten sie schon kämpfen? Colin war äußerlich unversehrt und ich konnte mir kaum vorstellen, dass sie ihn bislang überhaupt berührt hatte. Doch wenn sie es schaffen würde, ihn zu Boden zu bringen und sich auf ihn zu schieben, war es vorbei. Nur das versuchte er mit aller Macht zu verhindern. Ihre Nähe war Gift.
Colin und Tessa bewegten sich aus meinem Sichtfeld. Ein neuerliches Krachen erschütterte den Boden.
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