Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
Vom Netzwerk:
Stimme und wünschte Mama einen tiefen, festen Schlummer. Die Chancen standen gut, denn Papa war nicht da.
    »Äh - Ellie? Bist du das?«
    »Ja, wer sonst? Ich hab einen Plan. Kannst du Auto fahren? Ihr Jungs könnt das doch immer früher, als ihr dürft.«
    »Hm. Ich hab mal den alten Trecker von meinem Dad gesteu­ert.«
    »Okay. Das muss reichen. Wir treffen uns in einer halben Stunde vor Colins Haus. Ich glaube nicht, dass sie dort ist. Nimm dein Spray mit.«
    »Alles klar«, sagte er, plötzlich hellwach, und legte auf.
    Mit der gefährlich schwankenden Kiste auf meinem Gepäckträger und dem schweren Rucksack samt Giftspinne auf dem Rücken erreichte ich Colins Haus. Tillmann war schon da. Das trutzige Anwesen wirkte ausgestorben und verlassen, als habe seit Jahrzehnten niemand mehr hier gelebt. Ein kalter Wind begann die Tannenspitzen zu biegen und schwere Regentropfen mischten sich in die Böen.
    Colins Wagen stand wie ein schlafendes, kantiges Ungetüm in der Einfahrt. Ich stieg vom Rad und fummelte den Autoschlüssel aus meiner Hosentasche. Tillmann leuchtete den Wagen mit seiner Taschenlampe an. Der schwarze Lack war von tiefen Kratzern übersät, immer fünf dicht nebeneinander. Nicht einmal vor ihm hatte sie in ihrer wahnhaften Gier haltgemacht, diese alte Schlampe.
    »Hier!« Ich warf Tillmann den Schlüssel zu. Geschickt fing er ihn auf und hatte binnen weniger Sekunden die Türen entriegelt. Ich stellte den Karton in den Laderaum. In den Zweigen und Trieben raschelte es verdächtig.
    »Was hast du vor, Ellie?«, fragte Tillmann mich kritisch und wich angewidert zurück, als wir Platz genommen hatten und ich das Glas mit der Spinne aus meinem Rucksack zog. »Und wie siehst du über­haupt aus?«
    Ich musterte ihn ausführlich. Seine Augen waren aufmerksam und klar, aber auch sehr fordernd. Ich atmete langsam aus.
    »Du musst mir jetzt blind vertrauen. Ich weiß, das ist schwer. Aber es geht nicht anders. Wir fahren erst einmal in den Wald. Wo ist er am undurchdringlichsten und wo sind die Bäume am höchsten?«
    Tillmann überlegte einen Moment. »Unterhalb der Ruine. Da gibt’s auch keine Wanderwege mehr oder so. Allerdings -«
    »Dann bring uns dahin«, unterbrach ich ihn. »Kannst du das?«
    »Mal sehen«, murmelte er und steckte den Schlüssel in die Zün­dung. Er drehte ihn um und der Motor begann dröhnend zu tu­ckern.
    »Boah, geil, ein V8«, grinste Tillmann. Doch als er das Gaspedal drückte, bewegte sich das Monstrum keinen Millimeter von der Stelle.
    »Was ist?«, zischte ich. »Warum fährt er nicht? Kein Benzin?«
    »Wenn er kein Benzin mehr hätte, würde er nicht anspringen«, wies mich Tillmann naseweis zurecht und fummelte an der Gang­schaltung herum. Der Hebel ließ sich nicht aus seiner Verankerung lösen. »Und jetzt mach keinen Stress, ich muss mich konzentrieren. Das ist eine Automatik. Ist neu für mich.«
    »Fein«, stöhnte ich und legte mir die flache Hand aufs Herz, um mich zu beruhigen. Die Spinne verharrte immer noch scheinbar leblos am Boden des Glases. Tillmann machte sich an den Arma­turen zu schaffen. Das Schiebedach fuhr surrend auf und im Nu durchnässte der Regen unsere Haare. Wild Hebel und Knöpfe aus­testend schloss Tillmann es wieder. Immerhin fand er auf diesem Weg die Scheibenwischer. Der Regen wurde stärker.
    »Ich glaub, jetzt weiß ich es«, sagte Tillmann zufrieden, stellte den Sitz niedriger ein und trat ein Pedal. Nun ließ sich die Gangschaltung betätigen. »D«, flüsterte er. Der silberne Knauf rastete ein, Tillmann nahm den Fuß vom Pedal - der Bremse, wie mir aufging und wie von Geisterhand bewegt rollte der Wagen nach vorne.
    »Stopp!«, schrie ich und riss die Arme vors Gesicht. Das Glas mit der Spinne fiel klappernd in den Fußraum. Mit einem durchdringenden metallischen Knirschen kam der Wagen zum Stehen.
    »Puh, das wird teuer«, mutmaßte Tillmann gelassen. Ich äugte nach vorne. Er hatte Colins Wagen tatsächlich gegen eine Tanne gesetzt. Die Motorhaube wölbte sich in der Mitte leicht nach oben.
    »Auch egal. Fahr!«, herrschte ich ihn an.
    Tillmann zuckte mit den Schultern und manövrierte den Wagen aus der engen Einfahrt, was die Reparaturrechnung schätzungsweise verdoppelte. Doch er lernte schnell. Als ich die Ruine zwischen den tief dahinziehenden Regenwolken erahnte, quietschten die Reifen kaum mehr, wenn der Wagen sich in die Kurve legte, und beim Bremsen wurden wir nicht mehr samt Rucksack und Karton nach vorne geschleudert.

Weitere Kostenlose Bücher