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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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eine eisige Atmosphäre. Ich wurde den Ein­druck nicht los, dass Mama und Papa Streit hatten, obwohl kein lautes Wort fiel. Nein, es fiel gar kein Wort. Papa fuhr gegen Abend in die Klinik und Mama rupfte mit verbissenem Gesicht Unkraut, als habe sie es mit abgrundtief bösen Dämonen zu tun. Ich half ihr dabei, und wenn ich zwischendurch verschwand - ich sagte ihr, ich habe mir die Blase verkühlt verglich ich das, was ich sah, mit den Abbildungen in Herrn Schütz’ Büchern. Meine Nervosität wuchs ins Unerträgliche und ich biss mir bei meinen Versuchen, mich ru­hig zu halten, die Innenseiten beider Wangen auf.
    »Es ist besser so, Ellie«, sagte Mama ohne rechten Nachdruck, als wir, eine stiller als die andere, im Wintergarten saßen und zu Abend aßen. »Dass er nun weg ist. Geflohen.«
    »Ja, wahrscheinlich«, pflichtete ich ihr matt bei und schniefte. Sie glaubte mir. Ich zwang mich dazu, zwei Schinkenbrote herunter­zuwürgen, viel Wasser und zwei starke Espressos zu trinken. Gerne hätte ich Mama umarmt, denn vielleicht war es das letzte Mal, dass ich die Gelegenheit dazu hatte. Doch alles, was Verdacht weckte, musste ich mir verbieten.
    Als ahnte sie, was ich vorhatte, kam Mama heute Abend nicht zur Ruhe. Es dauerte ewig, bis unten die Kerzen erloschen und sie zu Bett ging. Stundenlang hatte ich bewegungslos auf der Treppe ver­harrt und nur darauf gewartet. Es konnte beginnen.
    Ich erhob mich, ging leise in mein Zimmer und zog mich um. Schwarzes Tanktop, schwarze Jeans, schwarze, flache Boots. Meine Haare kämmte ich zurück, so straff es ging, und flocht sie zu einem dicken Zopf. Dann holte ich einen leeren Umzugskarton aus dem Keller und schlich in den Garten. Ich füllte einen kleinen Topf mit schwarzer Torferde und sah mich um.
    Ich fand schnell, was ich suchte, nachdem meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Der Garten war voll davon. Schon während des Unkrautjätens hatte ich meine Marschroute durch die Beete im Geiste abgesteckt. Mama gärtnerte nicht nur gerne. Sie schirmte uns ab. Es steckte System dahinter, auch wenn ihre Pflanzreihen chaotisch wirkten. Bündelweise schnitt ich Zweige, Blüten und Triebe ab und warf sie in den Karton. Zum Schluss drang ich lautlos in Papas Büro ein und riss die Orchideen aus ihren Kübeln.
    Mit zwei Expandern befestigte ich die überquellende Kiste auf dem Fahrrad meiner Mutter. Mein eigenes lag ja immer noch im Unter­holz.
    Jetzt kam der unangenehmste Teil. Nachdem die Spinne während der Heimfahrt immer wieder gezittert hatte, kauerte sie nun schlaff und unschlüssig am Boden. Sie war zu weit weg, um klare Signale zu empfangen. Würde es überhaupt gelingen, dass sie mich an die richtige Stelle im Wald leitete? Oder irrte ich mich komplett? War es doch einfach nur eine besonders gestörte Spinne?
    Mit einem flauen Gefühl im Bauch schob ich den Deckel des Ter­rariums zur Seite. »Stirb endlich«, knurrte ich, als ich das Einmach­glas über sie stülpte, es umdrehte und fest verschloss. Gereizt hob sie ihre Fangarme, um sich dann flach auf den Boden zu pressen. Nein, sie sah nicht ein zu sterben. Ich aber auch nicht. Ich umhüllte das Glas mit mehreren langen schwarzen Stofffetzen, die ich aus Mamas Nähzimmer stibitzt hatte, und packte es zusammen mit den Büchern und meinem Discman in meinen olivgrünen Rucksack. Viel Hip-Hop hatte ich nicht in meinem CD-Regal stehen, doch die wenigen Klassiker sollten genügen. Cypress Hill, Snoop Dogg, Everlast. Ich war mir fast sicher, dass Tillmann Hip-Hop hörte. Nach einem kurzen Zögern nahm ich auch noch die Greatest Hits der Red Hot Chili Peppers heraus und legte sie obenauf.
    Ich musste mich nur noch überwinden, ihn anzurufen und mit ins Boot zu holen. Ja, er hatte Asthma. Aber er hatte ein Spray und es half. Tillmann liebte die Gefahr. Er wollte dabei sein, dessen war ich mir sicher. Und er war der Einzige, der von alldem wusste. Nur er konnte meinen Eltern erzählen, was geschehen war, wenn mein Vorhaben sich als Irrsinn entpuppte und ich da draußen für immer verloren ging. Doch. Ich brauchte Tillmann. Es ging nicht anders. Aber ich durfte ihn nicht ins Zentrum des Kampfes lassen. Er würde »nur« mein Fahrer und Bote sein. Diesmal musste ich mich durch- setzen. Ich lehnte mich aus dem Fenster und wählte seine Nummer, die glücklicherweise in meinem Handy abgespeichert war.
    »Ja?«, meldete er sich. Er klang abgespannt.
    »Hast du geschlafen? Bist du fit?«, fragte ich ihn mit gedämpfter

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