Splitterherz
Wessen Körper hatte es verursacht? Tessas oder Colins? Doch eine jähe Berührung an meinem Bein ließ meine Gedanken im Nu erstarren. Eine kühle Schnauze drückte sich gegen meine blutende Wade und das hungrige Knurren eines dritten Wesens mischte sich in das grauenvolle Kampfgetöse aus berstenden Knochen und Tessas hypnotischem Singsang. Ich musste das Tier nicht sehen, um es zu erkennen. Ich wusste um seine Träume und sie galten mir. Es war der Wolf. Er hatte mein Blut gerochen. Es gibt also recht viele Arten, im Wald zu sterben, stellte ich nüchtern fest.
Tessas Gesang ging in einem widerwärtigen Gurgeln unter. Der nächste Genickbruch. Ich lag starr da und wartete darauf, dass sich die messerscharfen Zähne des Wolfes in meine Haut senkten. Noch hatten sie sie nicht durchrissen. Menschenhaut ist derb wie Leder. Doch zu meinem grenzenlosen Unglauben spürte ich plötzlich, wie die warme Zunge des Wolfes tröstend und sehr sorgfältig über meine Wunde leckte.
Ehe ich begreifen konnte, was da mit mir geschah, tauchten Colins schwarze Augen vor mir auf. Grob zerrte er mich von dem toten Körper des Ebers fort, gegen den ich die ganze Zeit gelehnt und dessen Blut sich mit meinem vermischt hatte, bis er mich an einem Baum absetzen konnte. Meine Augen begannen zu schmerzen und zu tränen. Colin drehte den Eber auf den Rücken, riss mit einer einzigen Bewegung seinen Bauch auf und stach seine Fingernägel in die Halsschlagader, während dampfendes Gedärm auf den Waldboden glitschte. Ohne eine Miene zu verziehen, hielt er erst seinen Oberkörper in den Strahl des Blutes, dann sein Gesicht.
Wäre ich nicht gelähmt gewesen, hätte ich mich abgewendet. So aber musste ich ihm Zusehen, ohne meine Lider auch nur eine Sekunde schließen zu können. Colin griff in den klaffenden Bauch des Keilers und holte das noch schwach zuckende Herz heraus; mit der anderen Hand angelte er sich wahllos Gewebe und Gedärme.
Der Wolf verharrte friedlich neben dem toten Eber und seine gelben Augen hingen fast verträumt an Colins ausdruckslosem Gesicht.
Colin richtete sich auf und wartete darauf, dass Tessa wieder zu sich kam. Es dauerte nicht lange, bis sich das zermürbende Knirschen ihrer Knochen in das Prasseln des Regens mischte. Sie hustete röchelnd und spuckte schwarzbraune Blutklumpen auf ihre Gewänder. Langsam, Glied für Glied, dehnte und reckte sie sich. Dann stand sie tänzelnd auf, als wäre nichts gewesen, und wiegte sich singend vor und zurück.
Colin streckte sich zu seiner vollen Größe, den Kopf stolz erhoben, die Brust geschwellt, den Bauch eingezogen. Nun breitete auch er die Arme weit aus und schritt elegant und leichtfüßig auf Tessa zu. Die Gedärme in seiner Hand schleiften über den Boden und hinterließen eine schleimige Blutspur, die nicht einmal der Regen auswaschen konnte. Ein zufriedenes, erwartungsfrohes Lächeln breitete sich auf Tessas bleichem Antlitz aus. Auch Colin lächelte.
Nein, dachte ich verzweifelt. Was tust du denn jetzt? Was machst du da? Nicht! Bitte ergib dich ihr nicht!
Doch Colin hielt seine Arme erhoben, bis sein besudelter Oberkörper Tessas Gewänder berührte. Aufstöhnend rieb Tessa sich an seiner Brust und drückte ihr Gesicht gegen sein zerrissenes Hemd. Colin schloss seine Arme fest um sie. Schon geriet er ins Schwanken. Noch wenige Sekunden und Tessa würde ihn rücklings zu Boden drücken. Doch bevor Colin nach hinten kippen konnte, erhob sich der Wolf ruckartig und begann zu hecheln. Sein Körper war so angespannt, dass seine Muskeln bebten.
Schaudernd presste Colin Tessa seine Lippen auf den Mund. Sie sackte kurz in die Knie. Ohne die Lippen von ihren zu lösen, wickelte Colin Tessa die Gedärme um den Hals und stieß das Herz des Keilers in den Ausschnitt ihrer beschmutzten Gewänder. Der Wolf knurrte unheilvoll. Colin brüllte vor Anstrengung, als er sich mit einem heftigen Fauststoß von Tessa löste. Verdutzt grapschte sic nach seinen Armen, um ihn wieder an sich zu ziehen. Doch der Wolf war schon da. Jaulend stürzte er sich auf Tessas Rücken und brachte sie zu Fall.
Bevor ich merkte, dass Colin meine Lähmung aufgehoben hatte, war er bei mir und zog mich mit weit abgespreiztem Arm hoch.
»Ich sollte dir den Hintern versohlen«, schimpfte er. Ich wich unwillkürlich vor ihm zurück und er ließ mich sofort los. Er stank nach den Eingeweiden des Ebers und nach Tessas muffigen Gewändern, dem Moschus ihrer teigigen
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