Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
Vom Netzwerk:
Haut. Seine Wangen waren so bleich, dass ich glaubte, seine Knochen durchschimmern sehen zu können. Tessas Kreischen gellte durch den dämmrigen Wald, als der Wolf ihre Gewänder zerriss und über ihren zähen, weichen Körper herfiel.
    Colin krümmte sich, als müsse er sich übergeben.
    »Ich habe sie berührt, überall«, keuchte er und presste sich die Hand auf die Kehle. »Ihr Gift... es ist auf meiner Haut.«
    »Der Regen wird es abwaschen«, versuchte ich ihn zu beschwich­tigen, obwohl ich seine Nähe und seinen Geruch kaum mehr aushalten konnte. »Erst müssen wir hier weg. Kannst du laufen?«
    Ich wartete seine Antwort nicht ab. Er war ein Nachtmahr, er musste laufen können. Hinkend kämpfte ich mich vorwärts, nur weg von diesem grauenerregenden Gebrüll hinter uns.
    »Spür Tillmann auf. Er müsste jetzt wissen, dass wir kommen«, wies ich Colin an. Doch nun war ich es, die nachließ. Mein verletz­tes Bein gehorchte mir kaum noch und der Blutverlust hatte mich geschwächt. Um mich herum drehte sich alles. Doch lieber wollte ich hier an Ort und Stelle verenden, als mich von Colin anfassen zu lassen. Er hatte Tessa umarmt. Er hatte sie geküsst. Und er triefte vor Blut und Schleim.
    »Wag es nicht!«, zischte ich, als er nach meinem Arm greifen woll­te. Er hielt inne, nickte und schlug einen Haken. Auf allen vieren kroch ich ihm hinterher. Ein Stück vor uns plätscherte es im Unter­holz. Wir hatten einen der unzähligen Bäche erreicht. Colin eilte ans Ufer und tauchte seinen Oberkörper unter, bis die Strömung das gröbste Blut und Gewebe von ihm gelöst hatte. Er fuhr so heftig mit den Handflächen über seine Haut, dass es aussah, als wolle er sie sich von den Knochen reißen. Doch noch immer wirkte er, als kön­ne er sich selbst nicht ertragen. Gehetzt sah er mich an. Ich ging ei­nen Schritt auf ihn zu und sog die Luft ein. Ich konnte ihn wieder riechen. Ihn, nicht Tessa. Und sein betörender Duft verdrängte alles andere.
    »Es ist okay«, sagte ich leise. »Du musst mir jetzt helfen.«
    Ich trat so nahe an ihn heran, dass ich die Wassertropfen auf sei­nen fahlen Wangen sekundenschnell verdunsten sehen konnte. Co­lin nahm mich in einer einzigen raschen Bewegung hoch, legte mich über seine Schultern und rannte mit schwerelosen Schritten direkt zum Auto. Tillmann saß wie versteinert auf dem Fahrersitz.
    Rücksichtslos riss Colin die Tür auf, stieß ihn zur Seite und schob mich nach hinten auf die Ladefläche.
    Er drehte den Schlüssel. Der Wagen sprang sofort an.
    »So, liebe Ellie«, fauchte Colin und wandte sich drohend zu mir um. Tillmann zuckte erschrocken zusammen.
    »Er ist in Ordnung«, beruhigte ich ihn schnell.
    »Nachdem du meinen Wagen ruiniert und dich fast umgebracht hast, wäre ich dir sehr verbunden, wenn du mich über deinen Plan unterrichten würdest.«
    Ich musterte ihn prüfend. Körperlich schien er unversehrt zu sein. Über seine Seele konnte ich mir jetzt keine Gedanken machen. Doch plötzlich krümmte er sich wieder. Schauer ließen seinen Körper er­beben.
    »Dieses Biest«, stieß er gequält hervor. Seine Hände rutschten vom Lenkrad. Colin sank stöhnend mit dem Oberkörper auf den Beifahrersitz.
    »Ihr Gift wirkt nach. Aber das müsste vorübergehen«, sagte ich zweckoptimistisch. Tessa hatte ihn nicht zum Fallen gebracht. Ich hatte es genau gesehen. Und das war das Entscheidende: nicht zu fallen. Sondern stehen zu bleiben. Es musste einfach vorübergehen.
    »Was macht die Spinne?«, fragte ich, ohne den Blick von Colin abzuwenden. Tillmann drehte sich schuldbewusst von mir ab.
    »Ellie - ich dachte echt, dass sie tot ist. Ich hab sogar das Glas ge­schüttelt. Aber ... als ihr euch eben genähert habt - irgendwie hat sie gezuckt. Oder hab ich mir das nur eingebildet?«
    Ich ließ mein Gesicht auf die Ladefläche fallen und zwang die Pa­nik hinunter. Okay, Plan B. Ich hatte schließlich damit gerechnet - wenn auch nicht damit, dass es so schnell ging. Dann war es eben noch nicht zu Ende. Mühsam hob ich den Kopf und sah Tillmann an. Er biss sich auf die Lippen. Offenbar hatte er wirklich ein schlechtes Gewissen.
    »Fahr du!«, rief ich. »Und zwar schnell! In die Klinik von meinem Vater. Wir müssen hier weg, sofort.«
    Tillmann schob sich über Colins schlaffen Körper zurück auf den Fahrersitz und lenkte den Wagen mit pfeifendem Atem durch den Wald. Im Osten verfärbte sich der Himmel rostrot.
    Ich kroch nach vorne und legte mein Ohr auf Colins Brust.

Weitere Kostenlose Bücher