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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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gesamte Paket aus dem gekippten Badezimmer­fenster.
    »Bah! Pfui! Uaaah!«, rief ich und tanzte einmal um mich selbst. Hysterisch schlug ich das Fenster zu. Jetzt brauchte ich doch Bal­drian, konnte mich aber kurz nicht entscheiden, was widerlicher war - Mamas Tee oder die Spinne. Die Spinne, entschied ich schließ­lich und nahm tapfer einen weiteren Schluck.
    Es dauerte eine Weile, bis im Bett das Gefühl in meine vereisten Füße zurückkehrte. Ich war so wach, dass ich jeden einzelnen Herz­schlag spürte.
    Fast vierzehn Tage waren vergangen seit dem Besuch von Nicole und Jenny - einer ereignisloser und nichtiger als der andere. Sie kamen mir vor wie eine Ewigkeit. Und mir war mittlerweile klar geworden, dass mein Leben in Langeweile ertrinken würde, wenn ich nicht selbst etwas daran änderte. Bis mein schulisches Beobach­tungsexperiment Früchte trug - und danach sah es derzeit nicht aus -, musste ich meine Zeit irgendwie füllen.
    Und die einzige Alternative zur Langeweile bestand nach wie vor darin, mit Maike ausreiten zu gehen. Vergangene Woche hatte ich mich erfolgreich davor gedrückt, meine Ausrede: Verwandten­besuch. Natürlich eine Lüge. Aber Maike hatte mich sofort gefragt, ob ich stattdessen nächsten Freitag mitkommen würde. Und ich sagte Ja. Ich, die sich vor Pferden fast noch mehr fürchtete als vor Spinnen. Nur: Ekel vor Spinnen, das konnte jeder irgendwie verste­hen. Ich musste ja nicht gleich die ganze Wahrheit auftischen, samt Horrorvision, die zugegebenermaßen etwas übertrieben und un­realistisch war. Aber Angst vor Pferden? Das war fast schon exotisch. Ich kannte jedenfalls niemanden, dem es genauso erging. Doch mich irritierte an ihnen genau das, was ich an Spinnen verabscheu­te. Sie wirkten unberechenbar auf mich. Unkontrollierbar.
    Aber konnte ich so etwas Maike erzählen? Maike hatte das Wort Phobie sicherlich noch nie gehört. Und ich wollte nicht als Angst­hase dastehen. Mir reichte der Ruf als Großstadtzicke.
    Meine Gedanken wanderten weiter zu Colin - wie fast jeden Abend. Dem rätselhaften, sich abscheulich benehmenden Colin.
    Colin hatte mich gerettet. Er hatte mich beleidigt. Und er hatte mich nach Hause gefahren. Das waren zwei gute Dinge und eine weniger gute Sache. Die Bilanz war eigentlich positiv. Sachlich be­trachtet. Doch bei alldem hatte er stets gewirkt, als sei ich ein lästi­ges Insekt und als fehle ihm nur eine Fliegenklatsche, die groß genug war, um mich zu erschlagen.
    Ich hatte mir immer geschworen, mich niemals mit einem Jungen oder einem Mann einzulassen, der mich so behandelte wie er. Ab­fällig und abweisend. Selbst wenn ich Colin noch einmal begegnen würde - ich musste ihm die kalte Schulter zeigen. Dass ich tatsäch­lich mein Piercing herausgenommen hatte, durfte er niemals erfah­ren - so froh ich auch war, es getan zu haben.
    Colin war also nach wie vor indiskutabel. Benni war tabu, da mich die schwarze Lola sonst vierteilen würde. Und sie war so etwas wie die ungekrönte Hohepriesterin der Oberstufe. Mit ihr durfte ich es mir nicht verderben, wenn ich mich einfügen wollte.
    Blieb nur noch Maike und ihr vermaledeites Hobby. Ich sollte zu­mindest mit ihr zum Stall fahren. Dort würde mir schon etwas ein­fallen, womit ich mich drücken konnte. So hatte ich guten Willen gezeigt und vielleicht ein paar Punkte gesammelt. Vor allem aber wollte ich endlich einmal morgens aufstehen können ohne die ban­ge Frage, wie ich den Abend füllen sollte, wenn alles getan war, was getan werden musste. Inklusive aller strebsamen Freiwilligkeiten, für die mich meine Lehrer so liebten.
    Einen Moment lang trauerte ich dem Adler, dem Hirsch und der Forelle nach.
    Dann wickelte ich mich zu einem kleinen, gemütlichen Menschenpaket zusammen und schlief ein.
     

    Pferdeflüstern
     
    »Maike, warte doch mal!« Ich stemmte mich in die Pedale und drückte mit aller Gewalt die Gangschaltung. Es krachte unter mei­nen Sohlen, aber nichts tat sich. »Maike!«
    Endlich bremste sie und drehte sich fragend um. »Wieder deine Kontaktlinsen?«
    »Nein!«, brüllte ich und deutete wütend auf mein Fahrrad. Ich hasste es. Ich hatte es schon immer gehasst. Außerdem war ich seit Jahren nicht mehr im Sattel gesessen und meine Schaltung streikte. Seit wir vor einer halben Stunde losgefahren waren, musste ich mich im fünften Gang durch den Wald kämpfen. Bergauf, bergab, über Schotter und Geröll, durch Schlamm und Lehm. Ich hatte es satt. Dreimal waren Pollen unter meine

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