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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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schmeckten schauderhaft, aber ich wollte ihr die Chance nicht nehmen, mich zu verarzten. Etwas zu tun, schien sie zu entspannen. Beflissen summte sie vor sich hin.
    Ich selbst war weder aufgeregt, noch hatte ich Angst. Ich war nur verwundert. Denn Mama hatte recht. Bisher war ich noch nie nachts freiwillig aus dem Bett aufgestanden. Und schon gar nicht schla­fend. Wenn allerdings so schöne Träume mich nach draußen trie­ben - dann würde ich es gerne wieder tun.
    »Was machst du eigentlich hier? Wie spät ist es?«, fragte ich sie.
    »Kurz nach halb vier. Ich konnte nicht schlafen. Und dann hab ich so ein seltsames Geräusch gehört - wie ein Krächzen, als wäre ein Vogel im Haus.«
    »Ein Vogel?« Ich erschauerte und wickelte mir die Decke fester um die Schultern.
    »Ich hatte mich geirrt. Auf dem Hof haben zwei Katzen miteinan­der gekämpft. Ich konnte sie vertreiben - und dann hab ich dich gesehen.« Sie goss Wasser in eine Tasse und drückte sie in meine ei­sigen Hände.
    »Baldrian und Zitronenmelisse. Danach wirst du schlafen wie ein Baby.«
    Ich gab vor, einen Schluck zu trinken. Wenn Mama doch so tolle Heilmittelchen parat hatte - warum nahm sie dann selbst nichts davon? Manchmal hatte ich fast den Eindruck, sie blieb gerne die halbe Nacht wach.
    »Ellie ...«, sagte sie zögernd und schaute mich prüfend an.
    »Ja?« Ich nippte an dem Tee. Beinahe verbrannte ich mir die Lip­pen.
    »Du hast geträumt, oder?« Ich nickte.
    »Bist du dir sicher?« Sie wischte nervös über die Arbeitsfläche.
    »Ja, hundertprozentig sicher.«
    »Hm«, machte Mama und schwieg kurz. »War es denn ein schö­ner Traum?«
    »Weiß nicht«, murmelte ich. »Verworren.« Ich konnte ihr nicht davon erzählen. Das war zu verrückt. »Ich nehm die Tasse mit hoch, okay?«, fragte ich und deutete auf den Tee. Und schütte ihn in den Abfluss. Sorry, Mama. Sie schaute mich abwesend an.
    »Schlaf gut, Ellie. Und nicht wieder umhergehen, ja?«, lachte sie verkrampft. Dafür konnte ich zwar nicht garantieren, aber ich war mir beinahe sicher, dass sich ein solcher Traum nicht wiederholen würde. Doch ich konnte mir schon jetzt schwer vorstellen, dass ich ihn jemals vergessen würde. Vielleicht hatte ich ja Glück und ich wurde nach meinem Tod als Hirsch wiedergeboren. Ist doch echt erbärmlich, auf zwei Beinen durch die Welt zu staksen, dachte ich, als ich unbeholfen die Treppe nach oben stolperte.
    Verwirrt zog ich mich in mein Badezimmer zurück. Auch hier leuchtete der Mond den ganzen Raum silberblau aus. Ein schwarzer, runder Schatten in der Badewanne hielt mich davon ab, mit Schwung den heißen Tee hineinzugießen. Ich knipste das Licht an.
    Oh Gott, wie ekelhaft. Jetzt wusste ich wieder, was ich am Sommer partout nicht mochte. Denn der Sommer hatte sich sogar zu uns in den Wald gekämpft. Die Nächte waren immer noch kühl, doch die Sonne heizte das Haus tagsüber so auf, dass ich abends meine Fens­ter öffnen musste - und das wiederum lockte ungebetene Gäste an.
    »Bah«, sagte ich leise. »Muss das denn sein?«
    Mein erster Instinkt war, nach unten zu rennen und Mama um Hilfe zu bitten. Mit einem unangenehmen Kribbeln im Nacken dachte ich an die dicken, haarigen Exemplare, die mir die Sommer­ und Herbstnächte im Odenwald verdüstert hatten - vor allem seit jenem Abend, an dem Papa eine Riesenspinne über meinem Bett erschlagen und beteuert hatte, sie sei mausetot, und ich eine halbe Stunde später aus reinem Instinkt das Licht anknipste und die Spin­ne quicklebendig auf meinem Kopfkissen kauerte. Vermutlich war dies die Keimzelle meiner persönlichen Horrorfantasie gewesen. Ich hatte damals wirklich das Gefühl gehabt, dass die Spinne mich meinte. Mich wollte. Ja, dass sie auf Rache aus war.
    Andererseits saß diese Spinne hier - ein nicht minder scheuß­liches Exemplar - in der Badewanne, also zwei Türen weit weg von meinem Kopfkissen, und ich konnte sie mit der Handbrause in den Abfluss zwingen und dann den Stöpsel schließen.
    Vorsichtig hangelte ich nach dem Duschkopf. Die Spinne blieb starr sitzen. Wie war das noch mal mit der Faszination des Grauens? Ich ekelte mich und konnte meinen Blick dennoch nicht von ihr lösen. Ebenso wenig konnte ich mich dazu durchringen, den Was­serhahn aufzudrehen.
    In einem plötzlichen Anfall von Kühnheit griff ich nach einem Kleenex, schloss es um den behaarten Spinnenleib, sodass nur noch die Spitzen der acht hässlichen Beine herausschauten, drückte leicht zu und schmiss das

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