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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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sich ein paar Stricke und Halfter über die Schulter gelegt. Aber wo waren die Sättel?
    »Dann bleibt für dich nur der Champion«, beschloss Maike. »Die alte Braune kann nicht mehr.« Champion machte seinem Namen keine Ehre. Ein schorfiges Ekzem bedeckte seinen Hals, auf dem Sal­benreste in der Sonne glitzerten, und seine Hufe sahen brüchig aus. Vermutlich wäre es ihm das Liebste gewesen, einfach hier auf der Weide zu bleiben. Und ich war bereit, es ihm zu gönnen. Als Maike ihm einen Klaps auf den Rücken gab, zeigte er das Weiße in seinen Augen und bleckte die Zähne. Ich trat einen Schritt rückwärts.
    Maike öffnete das Gatter und zog sich auf Kiras breiten Rücken. Also auch noch ohne Sattel. Jetzt nahm Nadine Anlauf. Mit wogen­den Brüsten hievte sie sich auf den mageren Prinz, der entrüstet prustete. Lola versorgte die Ponys derweil mit den Halftern und Stricken. Niemand achtete auf mich.
    »Ich - ich kann nicht. Sorry.« Ich musste Luft holen, um weiter­sprechen zu können. Lola fing an zu grinsen. Gleich wird mir schlecht, dachte ich gehetzt. Und ich möchte, dass ihr weg seid, wenn mir schlecht wird.
    »Ich fühl mich nicht gut. Kreislauf«, erklärte ich flüsternd. Mir war wirklich schwindlig. Ich angelte Halt suchend nach dem Gatter. Die Silberkettchen um meinen Hals schienen mir die Kehle ab­zuschnüren.
    »Ach, Ellie, die sind alle schon alt, wir reiten nur durch den Wald, im Schritt, das macht Spaß!«, ermunterte Maike mich. Lolas Grin­sen verstärkte sich, während sie mit flinken Fingern die Stricke zu Behelfszügeln verknotete.
    »Geht ruhig!«, sagte ich und lächelte schwach. Meine Lippen fühl­ten sich an wie nach einer Betäubungsspritze beim Zahnarzt. »Ich ruf auf dem Handy jemanden an, der mich abholt.« Beinahe hätte ich gesagt: meine Mutter.
    Mit einem Satz schwang sich Lola auf Pepita und hieb ihr grob die Fersen in die Seite. Pepita knotterte und begann zu traben. Die an­deren Ponys folgten ihr. Maike schaffte es nicht, ihre dicke Kira zum Bleiben zu bewegen. Kira wollte zu Pepita. Und zwar sofort.
    »Okay, dann gute Besserung!«, rief Maike mir achselzuckend zu und hob grüßend die Hand. Ihr Hintern hüpfte auf dem breiten Pferderücken wabbelnd auf und ab. Champion quietschte kurz und widmete sich wieder dem sattgrünen Gras unter seinen verformten Hufen. Er sah irgendwie erleichtert aus. Sobald Maike, Lola und Nadine außer Sichtweite waren, ließ ich das Gatter los und rannte auf wachsweichen Knien zu den verrottenden Stallungen. Nur weg von der Weide und den Pferden. Ich hoffte, betete, bettelte, dass an einem so schönen Sommertag keines freiwillig im Stall geblieben war. Denn ich musste aus der Sonne. Je schneller, desto besser. Sonst würde es mir wirklich den Magen umdrehen. Noch im Laufen ver­suchte ich, die Verschlüsse meiner Silberketten zu lösen, doch ich konnte meine bebenden Finger nicht mehr kontrollieren. Hektisch fuhr ich mir mit den Nägeln über den Hals, bis das empfindliche Material nachgab. Unzählige Perlen und winzige Kettenglieder sprangen vor mir über den staubigen Boden. Keuchend atmete ich ein. Ich bekam wieder Luft.
    Im Stall war es angenehm dämmrig und sehr warm. Ich lehnte mich aufseufzend gegen einen schweren, spinnwebverhangenen Balken. An den erkerartigen Fenstern, die kaum Licht ins Innere ließen, klebten Schwalbennester wie kleine Trutzburgen aneinander. Ich sah mich argwöhnisch um. Eine Katze schlief in einer der leeren Boxen am Anfang des Gangs, ein graues, rundes Bündel Fell. Doch es waren keine Pferde da. Vor allem aber waren keine Menschen da.
    Ich atmete immer noch zu schnell und zu flach. Zitternd drückte ich meine Stirn gegen den Balken und kostete das beruhigende Ge­fühl aus, endlich in Sicherheit zu sein, als vom Ende der Stallgasse ein sonores Schnauben ertönte. Ruckartig fuhr ich herum und so­fort biss sich ein sehniges Ziehen in meiner Schulter fest. Angstvoll starrte ich nach hinten, in diese dunkle Ecke unter dem letzten Fenster. Hatte ich mir das Schnauben nur eingebildet? Wie eine Antwort prustete es erneut und ein Huf schlug donnernd gegen die Wand. Es klang nicht nach einem Ponyhuf. Es klang nach dem Huf eines Giganten.
    Auf Zehenspitzen schlich ich auf die hinterste Box zu, obwohl meine Kehle vor Angst wieder so eng war, dass ich nur noch pfei­fend atmen konnte. Undeutlich nahm ich eine Bewegung und einen dunklen, glänzenden Berg Fell wahr, dessen Umrisse mit dem Halb­dämmer des Stalles

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