Splitterherz
verschmolzen. Es war ein Koloss von einem Pferd, schlank und elegant, aber so hochgewachsen und mächtig, dass ich es vermutlich selbst mithilfe eines Hockers nicht hätte besteigen können. Seine tiefschwarze, seidige Mähne fiel weich über die linke Seite seines muskulösen Halses.
Es war das Pferd aus dem Unwetter. Colins Pferd.
Still verharrte es und schaute mich mit großen, schimmernden Augen an. Ich blieb wie versteinert stehen. Ich hatte selten ein so schönes Tier gesehen - und selten solche Furcht vor einem Pferd verspürt. In tiefen Zügen atmete es langsam ein und aus, als würde es schlafen, doch die Ohren waren aufmerksam nach vorne gerichtet.
Ich trat überhastet die Flucht an, streifte jedoch bei meiner ungeschickten Kehrtwendung einen rostigen Schemel. Scheppernd kippte er um. Das Pferd riss mit einer gewaltigen Bewegung den Kopf nach oben. Erschrocken sprang ich nach hinten weg und presste mich gegen die Stallmauer.
An meinen Schläfen sickerten Schweißperlen in mein Haar - so langsam, dass es kitzelte. Ich hätte sie mir gerne weggewischt, doch ich wagte nicht, mich zu rühren. Ebenso wenig wagte ich es, meinen
Blick auf das Pferd zu richten. Also ließ ich ihn auf der Boxentür ruhen. Mit brennenden Augen entzifferte ich die Inschrift des Messingschildes, das sorgfältig an den Holzverschlag genagelt worden war.
»Pferd: Louis d’Argent.
Besitzer: Colin Jeremiah Blackburn.«
Heiliger Bimbam. Na, wenn das keine ungewöhnlichen Namen waren. Dagegen klang Elisabeth Sturm geradezu banal. »Colin Jeremiah Blackburn«, flüsterte ich. Woher zum Teufel stammte dieser Kerl?
Ich stellte mich auf die Zehenspitzen, um aus sicherer Entfernung über die Boxenwand zu linsen. Louis hatte sich beruhigt und kehrte mir sein wuchtiges Hinterteil zu. Die Box war blitzsauber und mit frischen Strohballen ausgelegt, auf denen sich drei Stallkatzen in meditativer Hockstellung gegenübersaßen. Wie Wache haltende Sphinxen starrten sie mich aus halb geschlossenen Augen an.
Mit einem Mal und völlig unverhofft wich meine Angst einer lähmenden Erschöpfung. Die aufreibende Fahrradtour hierher, die Angst, der Durst, die Sonne, Louis - ich musste mich ausruhen. Ich konnte mich gerade noch in eine der leeren Boxen im vorderen Bereich der Stallgasse schleppen, bevor meine Knie unter mir wegsackten. Doch das Stroh fing mich weich auf. Meine Gedanken verformten sich zu Schlieren, die ineinander verschwammen und ständig neue, unruhige Spiralen bildeten.
Es waren keine Gedanken mehr.
Es waren nur noch Gefühle.
Nachtfalter
Als ich erwachte, war es fast dunkel. Für einen kurzen Moment wusste ich nicht, wo ich war. Ratlos fuhr ich mit den Fingern durch das Stroh unter mir. Natürlich, der Stall... Ich stützte den Kopf auf meinen Ellenbogen. Eine der Katzen hatte sich in meine Kniebeuge gekuschelt und schaute mich missmutig an.
»Entschuldige bitte«, flüsterte ich und schob sie sanft von mir weg. Sie machte einen Buckel, gähnte herzzerreißend und trollte sich.
Ich schaute auf die Uhr, doch ich konnte nicht erkennen, wie spät es war. Allerdings konnte die Sonne noch nicht lange untergegangen sein, denn selbst hier im Stall herrschte ein fahles Dämmerlicht.
Vorsichtig erhob ich mich und klopfte mir das Stroh von den Kleidern. Ein schwarzer Schatten huschte mein linkes Bein hinunter. Ich unterdrückte einen Schrei und wischte ihn eilig weg.
Unter erheblicher Mühe sortierte ich meine Arme und Beine. Immer noch war mir so warm, dass ich das Gefühl hatte, Blei statt Luft einzuatmen. Doch als ich aus der Box trat, spürte ich sofort, dass etwas anders war als vorhin. Meine Schultern entspannten sich. Louis war nicht mehr da. Ich wusste es, ohne mich umzudrehen. Das bedeutete aber auch, dass jemand hier gewesen sein musste. Dass Colin hier gewesen sein musste - während ich schlief. Probehalber stellte ich mich in die Stallgasse und schaute zur Seite. Nein, er hatte mich nicht sehen können. Die halb zugezogene Boxentür verwehrte den Blick auf das kleine Nest aus Stroh, in dem ich gelegen hatte.
Es war ein bestürzend wehmütiges Gefühl zu wissen, dass sein Herz nur wenige Meter von mir entfernt geschlagen hatte, während ich nichts mehr von meiner Welt wahrnehmen konnte.
Schlaftrunken lief ich nach draußen - und was ich dort sah, nahm mir den Atem. Louis schien über dem Boden des Reitplatzes zu schweben. Mühelos warf er seine großen, schweren Hufe und nicht minder
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