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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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den Fesseln. Hin dunkel­haariges Mädchen, nicht älter als zehn Jahre, lehnte kniend an dem runden Pferdeleib. Rhythmisch molk es die geschwollenen Zitzen der Stute, die geduldig wartete und nur ab und zu beruhigend prus­tete.
    Wie gebannt starrte der Säugling das Mädchen und die Stute an.
    Widerwillig nahm das Mädchen einen Leinenstreifen, tauchte ihn in die warme Stutenmilch und ließ das Baby daran saugen. Mit gro­ßen Schlucken trank es. Seine Fäustchen, die während des Melkens regungslos neben den Ohren gelegen hatten, schlossen sich um den Arm des Mädchens und machten dort kleine, zarte Pumpbewegungen. Doch das Mädchen befreite sich sofort von ihnen, als hätte es sich verbrannt.
    Immer wieder tränkte es den Leinenstreifen, bis die Milch leer war. Das Baby blieb still liegen. Kein Jammern, kein Klagen. Nur dieser intensive dunkle Blick, dem das Mädchen beständig aus­zuweichen versuchte.
    Als das Baby satt war, stand das Mädchen ruckartig auf, starrte einen Augenblick lang angespannt auf das kleine Lumpenbündel zu seinen Füßen und stürzte schließlich ohne ein einziges Wort aus dem Stall. Die Stute wendete träge den Kopf und blies ihren war­men Atem über das Gesicht des Säuglings, während das Kätzchen sich schnurrend an seinen eingewickelten Körper kuschelte.
    Das Baby streckte eine Hand aus und griff nach den samtigen Nüstern des Ponys. Die Stute hielt still, ließ das Kleine nachsichtig gewähren, wie es neugierig die langen Haare auf seinem Maul und die feuchten Höhlen der Nüstern ertastete.
    Ich wollte das Baby berühren, nur einmal. Nur ein einziges Mal. Doch als ich meinen Arm bewegte, löste ich mich auf und wurde vom Nichts verschlungen.
    Es ist nicht deine Welt, drang es in meinen Kopf. Nicht deine Zeit.
    Nur kurz wurde ich wach. Draußen begann es zu dämmern. Der Gedanke, dass das Baby lebte, wenn auch ungeliebt und abgescho­ben, besänftigte mein Herz. Es lebte noch. Es war alles gut.
    Die Morgenstunden schenkten mir einen tiefen, sanften Schlaf.
     

    Tränenmeer
     
    Allmählich ließ die Hitze dieses Frühsommertages nach. Weich fiel das Sonnenlicht durch die sattgrünen Baumkronen.
    Ich blieb stehen. Hier war es gewesen. Genau hier. Die Brücken­ruine war inzwischen so dicht bewachsen, dass ich sie von Weitem beinahe übersehen hätte. Träge und mit einem fast spöttischen Plät­schern floss der Bach neben mir dahin. Ein milder Lufthauch spielte mit den Blättern der Bäume, deren tief hängende Zweige die Strö­mung streiften, und ließ sie zärtlich flüstern.
    Ich umrundete die Ruine. Oben, wo das Schienenstück in den Himmel ragte, hatten sich die Steine durch den Blitzeinschlag dun­kel verfärbt. Das war alles. Ansonsten verriet nur der Pfad, dass hier erst vor Kurzem ein Unwetter getobt hatte. An einigen besonders schattigen Stellen hielten sich schlammige Pfützen. In eine dieser Pfützen hatte eine Kröte gelaicht. Die Kaulquappen waren zum Tode verurteilt, wenn sie niemand rettete. Doch ich konnte sie schlecht mit den Händen herausschaufeln und zum Bach tragen, ohne dass sie mir unterwegs aus den Fingern glitschten und verendeten.
    Ich rieb mir gähnend über das Gesicht und setzte mich auf einen moosigen Felsbrocken. Er kam mir vor wie ein Himmelbett, das nur auf mich wartete. Bereits den ganzen Weg hierher halte ich mit dem dringenden Bedürfnis gekämpft, mich irgendwo einzurollen und zu schlummern, und das grelle Sonnenlicht ließ meine Augen un­unterbrochen tränen und jucken. Ich schmiegte mich an den Fels und schloss sie. Das Licht drang grün durch meine Lider; noch im­mer war es mir zu hell und zu warm. Die drückende Schwüle lastete tonnenschwer auf mir. Ich brauchte Wasser auf meiner Haut. Küh­les, klares Wasser.
    Widerwillig zwang ich meine Augen wieder auf. Wie ein Baby krabbelte ich auf allen vieren die Böschung zum Bach hinunter, zog meine Schuhe aus und ließ meine Beine in die glitzernde Strömung gleiten. Träge starrte ich auf die andere Seite des Ufers. Waren das dort drüben nicht Hufspuren? Und hatte ich nicht eigentlich genau danach suchen wollen? Aber warum nur?
    Ich kniete mich hin und fuhr mit den Unterarmen durch das eisi­ge Wasser, bis ich meine Finger kaum mehr bewegen konnte. Die Kälte wirkte. Ich war immer noch müde, doch wieder einigermaßen bei Verstand. Colin. Natürlich. Es war Colin, auf dessen Spur ich mich begeben hatte. Wie hatte ich nur ernsthaft in Erwägung ziehen können, mich mitten im Wald in ein

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