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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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brachte weder ein »Ja« noch ein »Nein« oder gar ein »Hallo« heraus.
    Ich konnte mich einfach nicht zwischen Freude und Galle ent­scheiden.
    »Also nicht.« Colin zuckte mit den Schultern und wandte sich gleichgültig ab.
    »Doch!«, rief ich. »Doch ... Ich wollte Louis kennenlernen. Und ich will es immer noch.« Verfluchte Lügen. Als ob ich nicht schon genug Abenteuer und Widrigkeiten durchgestanden hatte in den vergangenen Wochen.
    »Wir sind draußen auf dem Springplatz«, sagte Colin nur und verschwand mit einer einzigen geschmeidigen Bewegung. Ich wisch­te mir mit einem zerfledderten Taschentuch notdürftig das Gesicht ab und versuchte, mein Herz zu einem gesünderen Tempo zu über­reden. Zwecklos.
    Also trat ich mit fliegendem Puls ins Freie. Es war Abend gewor­den. Das letzte Licht der untergegangenen Sonne strahlte in einem schwachgoldenen Fächer über den dunkelgrünen Bergkamm, der sich wie der Buckel eines Ungeheuers hinter dem Stall erhob. Nicht mehr lange und es würde vollkommen dunkel sein.
    Ich sah hinüber zum Reitplatz und wünschte spontan, Colin hätte mich gar nicht erst geweckt. Das Gatter stand weit offen. Colin ritt Louis nicht, sondern ließ ihn frei umherlaufen. Er selbst stand mit einer Peitsche in der Hand in der Mitte und machte dabei eine ge­wohnt gute Figur.
    »Oh«, sagte ich nur und versuchte, im Krebsgang, und ohne Louis’ Aufmerksamkeit zu erregen, rückwärts zu verschwinden.
    »Nein, Ellie, du bleibst«, ließ Colins hypnotische Stimme meine Fluchtbewegungen erstarren. Rein und klar drang sie durch die Dämmerung. »Komm zu mir in die Mitte.«
    Louis schnäuzelte selbstvergessen mit einer der Stallkatzen, die es sich auf einem Hindernis bequem gemacht hatte, und streckte mir seinen wohlgeformten Hintern entgegen. Doch ich wusste, dass
    Pferde keine hektischen Bewegungen mochten, und gab mir große Mühe, langsam zu Colin zu gehen, obwohl ich am liebsten gerannt wäre.
    »Okay, gut«, sagte er, als ich mich ihm näherte. Ich riskierte einen kurzen Blick in sein Gesicht und sah, dass seine Augen wieder dunk­ler waren. Tiefes Braun mit einem verschwindenden Hauch Grün. »Sei mit den Gedanken beim Pferd. Stell dich neben mich. So, nun lassen wir ihn ein wenig laufen.«
    Übersetzt bedeutete das: Colin schwang kurz seine Peitsche über den Staub und Louis begann, in einem abenteuerlichen Tempo über den Platz zu preschen. Er sah aus wie eines dieser Pferde aus den alten Westernfilmen; Mustangs, die durch die Wüste galoppieren, den Kopf erhoben, die Nase im Wind, die Mähne flatternd. Nur war Louis in meinen Augen während seiner furiosen Formel 1 schät­zungsweise doppelt so groß wie ein Indianerpferd.
    Colin selbst bewegte sich gar nicht, doch ich spürte, dass er tat­sächlich mit den Gedanken bei seinem Pferd war. Vielleicht war das der Schutzfaktor, der einen vor dem Totgetrampeltwerden rettete?
    Anfangs fiel es mir schwer, es Colin gleichzutun. Doch nach und nach konnte ich meine Aufmerksamkeit bündeln.
    »Schau ihm nicht in die Augen. Hab einen weichen Blick. Nicht starren«, wies mich Colin leise an. »Sei einfach bei ihm, ohne ihn zu bedrängen.«
    Der weiche Blick - was war das wohl? Instinktiv entspannte ich meine Augen, sodass ich alles nur noch verschwommen sah, und nahm Louis’ Galopp wie im Traum, wie in Zeitlupe wahr. Ich hörte den Dreierrhythmus der Hufe auf dem Sand, seine kräftige Atmung, roch die Hitze auf seinem Fell. Es war wunderschön - ja, es war vielleicht sogar das Schönste, was ich jemals hatte erleben dürfen. Vor Rührung drängten sich neue Tränen hinter meine Augen, doch ich konnte sie wegschlucken.
    Jetzt ließ Louis langsam den Kopf fallen und wechselte in einen athletischen, schwebenden Trab. Colin legte die Peitsche nieder und wartete. Es dauerte, bis Louis ruhiger wurde, der Trab gemächlicher und er schließlich die Hufe in einem eleganten Schritt auf den Bo­den setzte. Dann blieb er stehen, schaute argwöhnisch zu uns herü­ber und schnaufte hörbar durch.
    »Warum kommt er nicht zu dir?«, fragte ich Colin flüsternd. Ich wagte es nicht, laut zu sprechen.
    »Weil du hier bist. Er weiß nicht, ob er dir trauen kann.«
    Er wusste nicht, ob er mir trauen konnte? Mir trauen? Es sollte eher umgekehrt sein. Doch ich erinnerte mich deutlich an sein Auf­bäumen, als Colin mich aus dem Gewitter gerettet hatte. Louis hatte das ganz und gar nicht gepasst.
    »Versuch dich ihm zu nähern«, forderte Colin mich auf. »Aber schau ihm

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