Splitterherz
sechzehn, der kann sich alleine verteidigen.«
Aber nicht, wenn er gerade einen Asthmaanfall hat, dachte ich und wusste trotzdem, dass Tillmann im Zweifelsfall zugeschlagen hätte.
»Du bist ziemlich merkwürdig, Ellie«, seufzte Maike. »Das musste doch echt nicht sein. Du bist schließlich noch nicht lange hier.«
»Doch, musste es«, sagte ich stur. »Sorry.«
Maike schwieg. Wir setzten uns nebeneinander unter den alten Kastanien in die Sonne, die nun nur noch mühsam durch weißliche Schleierwolken drang. Hatten wir jetzt Streit? Hatte ich es mir nun auch mit Maike verdorben? Benni lief an uns vorüber zu den Fahrrädern und blickte uns fragend an. Maike nickte ihm lächelnd zu. Dann schien sie einen Beschluss zu fassen.
»Okay, Ellie, ich werde Benni sagen, dass er sich was einfallen lassen soll, damit die Tonnen eine Sicherung bekommen. So, dass niemand mehr reingeworfen werden kann. Das ist eigentlich eine gute Idee. Vielleicht kann dein Ruf damit ja noch gerettet werden.«
Mit einer solchen Reaktion hatte ich nicht gerechnet. Vor lauter Erstaunen brachte ich kein vernünftiges Wort heraus. Noch eben hatte Maike mir vorgeworfen, mich eingemischt zu haben, und nun lächelte sie mich an, als sei nichts gewesen.
»Mein Ruf - wie ist denn mein Ruf?«, fragte ich schließlich vorsichtig, obwohl ich stark bezweifelte, dass Maikes Idee mir auf der Beliebtheitsskala nach oben helfen würde. Schließlich hatte ich eben den Spielverderber gemimt. Aber sie schien Feuer und Flamme. Womöglich wollte sie mir einfach etwas Gutes tun.
»Ehrliche Antwort?«
»Nur zu.«
»Gut«, sagte Maike bereitwillig. »Du wirkst, als wolltest du mit niemandem etwas zu tun haben. Du schottest dich ab. Die anderen denken, du hältst dich für etwas Besseres. Und jetzt hast du auch noch die Nase in eine Angelegenheit gesteckt, die dich nichts angeht - lass mich ausreden! Das ist - schwierig, verstehst du? Du siehst nicht so aus, als wolltest du Kontakt haben.«
Ich nickte abermals. Was sollte ich dazu auch sagen? Das kam mir alles furchtbar bekannt vor.
»Und ich hab ehrlich gesagt keine Lust, mich ständig fragen zu lassen, warum ich mich mit dem hochnäsigsten Mädchen der Schule abgebe.«
»Warum tust du es denn dann?«, motzte ich.
»Ach, weißt du«, grinste Maike und spielte mit ihren Schnürsenkeln, ohne mich anzusehen. »Ich bin halt neugierig.«
»Na dann«, grummelte ich, obwohl ich ihr nicht glaubte. Natürlich war Maike neugierig. Sehr sogar. Aber war das der einzige Grund? Vielleicht war sie es ja in Wirklichkeit auch überdrüssig, immer mit Busenwunder Nadine und der schwarzen Lola abzuhängen, und einen gewissen Unterhaltungswert bot ich ihr wahrscheinlich. Wenigstens war Maike jemand, mit dem ich ab und zu reden konnte. Außerdem hatte sie mein Fiasko am Stall mit keiner Silbe mehr erwähnt.
»Übrigens«, sagte sie und ließ ihre Schnürsenkel wieder in Frieden. »Am Samstag ist im Chic 80er-Jahre-Party. Und du gehst mit.«
»Bist du dir da sicher?«
80er-Jahre-Party. Oh mein Gott. Da konnte ich ja gleich mit Mama und Papa losziehen und auf eine Ü30-Fete gehen.
»Oh, bitte, Ellie, komm mit, das wird lustig. Diese Partys sind Kult. Manche ziehen sich sogar wie in den Achtzigern an oder machen sich Dauerwellen in die Haare«, begeisterte sich Maike.
Danke, ich hatte genug naturgegebenes Chaos auf dem Kopf. Während wir zur Turnhalle liefen, wo wir uns jetzt beim Volleyball austoben sollten, quasselte sie mir mein linkes Ohr voll, sodass ich keine Chance hatte, ihr klarzumachen, dass ich ganz sicher niemals mit einer Moon-Washed-Jeans oder einer Minipli in eine Disco gehen würde.
In der Sportstunde war es wie gehabt: Trotz gemeinsamer Discopläne wählte Maike nicht mich, sondern Lola in ihre Mannschaft und ich blieb als arbeitslose Auswechselspielerin auf der Bank sitzen - und das, obwohl meine Aufschläge nicht ständig ins Aus gingen. Eigentlich waren mir die ständigen Zwangspausen aber ganz recht. Denn nachdem die Wut über die Geschichte mit Tillmann einigermaßen verraucht war, wanderten meine Gedanken ohnehin zu meinem Traum von Samstagnacht, der langsam wieder in mein
Bewusstsein drang und an den ich mich trotzdem nur undeutlich erinnern konnte. Immer wenn ich mir ins Gedächtnis rufen wollte, wieso Blut geflossen war und was Colin genau mit mir gemacht hatte, sah ich kurz tiefstes Schwarz und spürte dann wieder den weichen Stoff seines Pullovers an meiner Wange,
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