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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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fühlte mich sicher und geborgen.
    Und gleichzeitig klopfte mein Herz so ungestüm und hart, als hätte es danach niemals wieder eine Chance, Blut durch meinen Körper zu pumpen.
     

    Nachtgedanken
     
    »Ich dachte, du wolltest Louis kennenlernen.«
    Ich öffnete die Augen, sah die Spinne auf mich zustürzen und schaffte es gerade noch, mich zur Seite zu rollen, bevor ihre zitt­rigen, haarigen Beine auf mein Gesicht trafen. Mit einem Satz war ich aus dem Bett.
    In einem grandiosen Sprint jagte ich zum Lichtschalter und fuhr mir dabei panisch durch die ohnehin zerzausten Haare. Niemals würde ich fühlen können, ob sich eine Spinne darin verfangen hatte oder nicht. Ich beugte meinen Kopf nach unten und schüttelte ihn wild, bevor ich etwas wacher wurde und feststellte, dass ich mich wie eine Geisteskranke benahm.
    Nun war ich mir auch ziemlich sicher, dass es wieder nur einer dieser lästigen Wachträume gewesen war. Ich hatte noch nie davon gehört, dass Träume vererbbar waren, doch Tatsache war, dass Mama diesen Wachtraum seit Jahren pflegte und ich ihn, seitdem wir umgezogen waren, ebenfalls. Ich glaubte, eine Spinne zu sehen, die sich aus dem Dunkeln auf mich herabließ. Und jedes Mal rea­gierte ich, als sei ich wach - blitzschnell und geistesgegenwärtig. Ei­gentlich hätte ich mittlerweile gelernt haben müssen, dass es diese Spinne nicht gab. Und doch - ich stürzte immer wieder aus dem Bett, um das Licht anzuknipsen.
    Der Schatten der Spinne verblasste langsam vor meinen weit ge­öffneten Augen. Beschämt stellte ich fest, dass meine Sinne mir  er­neut einen Streich gespielt hatten. Da war keine Spinne. Natürlich war da keine Spinne.
    Und auch nicht der Mann, dessen unverwechselbare Stimme mich kurz davor in den diffusen Welten meiner Träume an mein angeb­liches Vorhaben erinnert hatte. »Ich dachte, du wolltest Louis ken­nenlernen.«
    Gähnend setzte ich mich auf die Bettkante und widerstand nur mühsam der Versuchung, meine Haare ein weiteres Mal nach Spin­nenbeinen abzusuchen. Überall auf meiner Haut spürte ich das Zittern und Krabbeln von Insektenbeinen. Ich hatte große Lust, mich kopfüber in einen Wassertrog zu stürzen und am ganzen Kör­per zu schrubben.
    Ich wusste nicht, wie spät es war. Meinen Radiowecker hatte ich schon in der Nacht zuvor vom Netz genommen, weil ich sein stän­diges Summen und Blinken auf einmal nicht mehr ertragen konnte. Meine Armbanduhr lag im Bad. Und das wollte ich nicht unbedingt aufsuchen, weil ich fest damit rechnete, dort ein echtes, wahrhafti­ges Spinnenungetüm vorzufinden. Einer solchen Konfrontation war ich jetzt einfach nicht gewachsen. Aber es war noch stockdunkel draußen - ich hatte viel Zeit nachzudenken und konnte anschlie­ßend trotzdem noch genügend Schlaf tanken. Zufrieden ließ ich mich zurück ins Bett sinken.
    Sollte ich mich wirklich wieder auf den Weg zu diesem verfallenen Stall machen? Auf der einen Seite hoffte ich ja, dass Colin meine Bitte, Louis kennenlernen zu dürfen, vergessen oder gar nicht erst ernst genommen hatte. Andererseits hatte ich, wenn ich ehrlich war, Tag für Tag auf ein Zeichen von ihm gewartet. Doch wie sollte so ein Zeichen aussehen? Er würde ja wohl kaum mit seinem Wagen Vor­fahren und mich abholen.
    Und dann war da noch mein Stolz. Für Colins Verhältnisse war er an dem Abend bei ihm zu Hause durchaus nett gewesen. Für meine Verhältnisse aber immer noch zu - ja, was eigentlich? Über­heblich? Besserwisserisch? Angeberisch? Und nie hatte ich das Ge­fühl abschütteln können, dass er mich eigentlich loswerden wollte. Diese Insekten-Fliegenklatsche-Geschichte. Aber warum hatte er mich mit zu sich nach Hause genommen, wenn ich doch so lästig war?
    »Männer«, knurrte ich genervt und nahm einen tiefen Schluck aus meiner Wasserflasche. Wie sollte ich den Stall überhaupt alleine finden? An Maikes Querfeldeinradtour konnte ich mich kaum noch erinnern. Und selbst wenn ich den Stall ein zweites Mal fin­den würde - die Vorstellung, mich Louis zu nähern, jagte mir jetzt schon Angst ein. Noch schlimmer allerdings war die Vorstellung, dass Colin meine Panik spürte. Für ihn war Louis ja offensichtlich so etwas wie ein niedliches Schoßhündchen. Aber wie sollte ich Colin sonst wieder begegnen? Zu ihm nach Hause gehen - nein, daran brauchte ich gar nicht erst zu denken. Das würde ich niemals wagen.
    Ich konnte mich nicht entscheiden, was ich mir eigentlich wünsch­te. Da war die eine Seite - Maike, die

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