Splitterherz
und eh ich mich versah, hatte ich ein Bier in der Hand und musste es gut festhalten, damit er es mir beim Zuprosten nicht aus der Hand schlug.
Nun hatte ich also wieder mein altbekanntes Problem am Hals: Wie lasse ich das Bier verschwinden? Blumenkübel gab es hier nicht; nur zwei armselige Kunstpalmen, die im Takt der Bässe müde erzitterten. Verschmitzt musterte mich Maike von der Seite, als erwartete sie einen sofortigen Beweis meiner Trinkfestigkeit. Auch Benni blickte mich ermunternd an. Gut, da musste ich jetzt wohl durch. Todesmutig hob ich die Flasche an meinen Mund und nahm einen bitteren Schluck. Mit aller Macht zog ich meine Mundwinkel nicht nach unten, sondern nach oben und nickte anerkennend.
Benni strahlte. Maike kicherte. Doch Maike hatte genau gesehen, dass mein Schluck nicht mal ein Singvögelchen satt gemacht hätte. Sie stieß mir fordernd den Ellenbogen in die Seite und tapfer nahm ich einen weiteren Schluck. Der Alkohol wirkte wie immer sofort. Meine Gedanken wurden diffus und meine Knochen verwandelten sich in zähes Gummi. Schon fiel es mir schwer, Maikes Erläuterungen zu folgen, wer sich in welchem Verein engagierte, ihren Papa kannte, auch bei uns auf die Schule gegangen war, Kinder hatte oder bekommen wollte und jedes Jahr vor Weihnachten den Nikolaus spielte. Eine Frau mit Zöpfen, weit schwingenden Fledermausärmeln und violett gepunkteten Leggings gesellte sich zu uns und Maike verwickelte sie in ein hochspannendes Gespräch über das diesjährige Sommerfest des Schützenvereins.
»Ups«, machte ich und tat so, als sei mir das Bier aus der Hand gerutscht. Es zerschellte auf dem Boden und sein Inhalt ergoss sich schäumend über den schmutzigen Estrich. »Tut mir leid, das wollte ich nicht, sorry!«, beeilte ich mich um eine schnelle Entschuldigung.
»Ach, das tritt sich fest«, sagte Benni locker, klaubte die Scherben vom Boden und drückte mir ein frisches Bier in die Hand. Das alles ging so schnell, dass ich weder protestieren noch fliehen konnte. Tillmann grinste breit.
Ich ergab mich meinem Schicksal, nahm einen dritten Mäuseschluck und hoffte auf die Mächte der Verdunstung. Dazu setzte ich ein unbeteiligtes, dezent gut gelauntes Gesicht auf. Wenn Maike und die Frau mit den Zöpfen lachten, lachte ich auch, ohne zu wissen, worum es ging. Der DJ konnte auch nicht zu meiner Entspannung beitragen. Er war offenbar der Auffassung, mindestens jeden zweiten Song mit ein paar coolen Sprüchen einläuten zu müssen, sodass er seine mühsam aufgebaute Partyatmosphäre immer wieder selbst ruinierte. Nicht einmal Maike konnte sich über seine Ansagen amüsieren. Und mich machte er damit schier wahnsinnig.
Meine Sinne befanden sich auf dem Kriegspfad. Ich hatte es verlernt - so schnell ... Bei meinem ersten Clubbesuch vor anderthalb Jahren hatte ich anfangs gedacht, ich würde keine zehn Minuten in all dem Lärm und Gestank und Menschentrubel überleben. Ich wusste nicht, wohin ich schauen sollte - so viele Gesichter, so viele schnatternde Münder, dazu die Bässe, die sich in meinen Magen bohrten und mein Trommelfell erschütterten. Tausend Gerüche nach Parfüm, Schweiß, Bier, Zigaretten, zertretenem Kaugummi, nassen Scherben, erhitzten Scheinwerfern und ungelüfteten Räumen.
Aber wenn ich die erste Panikwelle überwunden hatte und mir einredete, jederzeit gehen zu können, war es meistens erträglich geworden. Diesen Punkt musste ich auch heute erreichen. Ich ließ meinen Blick schweifen. Ein paar Gesichter kannte ich aus der Schule, doch die meisten waren mir völlig fremd. Tillmann zog es anscheinend vor, alleine über das Leid der Welt nachzusinnen, und verbreitete eine unüberwindbare »Rühr mich nicht an«-Stimmung. Ich machte gar nicht erst den Versuch, ihn anzusprechen. Doch irgendwie tat es wohl zu wissen, dass ich nicht die Einzige hier war, deren Kiefer sich langsam zu verhaken drohten.
Ich hatte es mir gerade einigermaßen wohnlich auf meinem Barhocker eingerichtet und klammheimlich das halbe Bier auf dem Boden verteilt, als Maike und die Frau mit den Zöpfen stockten und ich automatisch den Blick hob. Von einer Sekunde auf die andere war es mit meiner Ruhe und Behaglichkeit vorbei.
Colin war da. Oh, verdammt. Und natürlich blickte er durch mich hindurch, als hätten wir niemals nebeneinander in der Dunkelheit vor seinem Haus gesessen und über seine vielen, vielen Pferde geredet. Nein, er ignorierte mich. Dafür glotzten alle anderen ihn an
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