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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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    Aber hier? Dorfdisco? 80er-Jahre-Party? Auf keinen Fall wollte ich mich lächerlich machen oder meinem Ruf noch weiter schaden. Ratlos stand ich vor meinem Kleiderschrank, zerwühlte sämtliche Fächer, verzierte meinen Boden mit mehreren Klamottenhaufen (»denkbar«, »unauffällig« und »zu tussig«) und bekam immer mie­sere Laune. Die Situation erinnerte mich frappierend an einen mei­ner wiederkehrenden Albträume, in denen mich die Zeit drängte und ich einfach nichts Vernünftiges zum Anziehen fand. Genauso war es jetzt.
    Entnervt knallte ich die Schranktüren zu und trat gegen einen der Klamottenhügel. Vielleicht, dachte ich, käme es ja auf einen Versuch an. Der Bus würde mich hinbringen, und sollte es mir nicht gefal­len, würde ich einfach Kopfschmerzen Vortäuschen, ein Taxi neh­men und nach Hause fahren. Das hatte bei Nicole und Jenny das ein oder andere Mal funktioniert, wenn ich des Lärmes und der vielen Menschen müde gewesen war. Und niemand konnte behaupten, ich würde mich abkapseln oder so tun, als sei ich was Besseres. Prompt hatte ich eine Vision von einem eng anliegenden schwarzen T-Shirt, meinen khakifarbenen Chucks und der legeren, aber knackigen Jeans, für die ich sündhafte 120 Euro hingeblättert hatte. Dazu der braune Gürtel mit der silbernen Schnalle - fertig. Jeans und Shirts hatte es schließlich auch in den Achtzigern schon gegeben.
    Maike würde sich über meine Anwesenheit freuen und Benni würde es als mutigen Integrationsversuch betrachten. Nun war mir etwas leichter ums Herz. Ich schlurfte ins Bad und ließ mir unter der Dusche eine halbe Stunde lang heißes Wasser auf den Kopf don­nern. Der erste Feldversuch in freier Wildbahn konnte beginnen: Elisabeth Sturm mischte sich unters Volk.
    Maike quietschte vor Freude, als sie mich aus dem Bus steigen sah. Ich freute mich irgendwie auch. Es war ein gutes Gefühl, empfangen zu werden.
    Maike gab sich stilecht. Sie hatte ihr quadratisches Hinterteil in einen babyblauen Jeansminirock verfrachtet und ihre strammen Waden mit mutwillig zerrissenen Nylonstrümpfen bedeckt. Ein grell neonfarbenes Gummi hielt ihr toupiertes Blondhaar zusam­men. Es sah ganz danach aus, als habe sie sich auf Madonnas Spuren begeben. Ich schluckte mein Schmunzeln herunter.
    »Wo ist die Disco?«, fragte ich sie und schaute mich suchend um.
    »Na da«, antwortete Maike verdutzt und zeigte auf ein unauffäl­liges, weiß getünchtes Gebäude. »Im Untergeschoss.«
    Sie schnappte sich meinen Arm und zog mich über die Straße, bevor ich es mir anders überlegen konnte. Es ging auf zehn Uhr zu. Das letzte Licht des Tages verblasste in einer weichen graugrünen Dämmerung und ein Schwarm Schwalben zog kreischend über un­sere Köpfe hinweg. Nun konnte ich Bässe wummern hören und der Geruch nach Nikotin zog mir in die Nase. An der Kasse erwartete uns ein bestiefelter Glatzkopf mit Cowboyhut im Nacken und Drei­tagebart. Wir mussten nur zwei Euro hinlegen und schon wurden wir durchgewunken. Keine Ausweiskontrolle und nicht einmal ein müder Blick auf unser Outfit. So einfach ging es also auch.
    Ich versuchte, mir meine Überraschung nicht anmerken zu lassen, als ich in der »Disco« stand. Ich musste mich wohl an andere Di­mensionen gewöhnen. Und ich war froh, dass Nicole und Jenny weit, weit weg waren. Sie wären rückwärts wieder rausgegangen.
    Der Laden bestand aus zwei Räumen, von denen der erste nicht viel größer als mein Dachzimmer war. Entlang der Wand verlief eine lange, gemütliche Bar, an der zu meinem größten Erstaunen Tillmann saß und sich von Benni - der sich ein grauenvolles rosa Frotteestirnband über sein hochgeföhntes Haar gewunden hatte - ein Weizen zapfen ließ. Tillmann genügte ein Hochziehen seiner dunklen Augenbrauen, um mich zu begrüßen - beziehungsweise zu zeigen, dass er mich gesehen hatte. Ich versuchte, ähnlich minimalistisch zurückzugrüßen. Zu meiner Erleichterung hatte er sich ebenfalls nicht verkleidet und begnügte sich wie ich mit Jeans und Shirt.
    Der zweite Raum sollte anscheinend die Tanzfläche darstellen. Einsam drehte sich eine abgehalfterte Discokugel im Kreis und ein paar unmotivierte Lichtblitze zuckten über den grauen Boden. Der DJ suchte offenbar noch CDs zusammen und ließ derweil Radio laufen.
    Maike ignorierte mein rätselndes Starren und schob mich weiter zur Bar. In Bennis Gesicht ging die Sonne auf. »Hey, Maike, Ellie, schön, dass ihr da seid!«, rief er gönnerhaft,

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