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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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und zu meinem Ärger schaffte auch ich es nicht, meinen Blick von ihm abzuwenden.
    Er trug schmale dunkle Hosen mit einem abgewetzten Ledergür­tel, ein weißes, lässiges Hemd, das viel zu weit offen stand, und um seinen Hals schlang sich ein schwarzer, dünner Schal. Seine unzäh­ligen Ohrringe blitzten im Scheinwerferlicht. Das breite Lederarm­band am linken Handgelenk bildete einen scharfen Kontrast zu sei­ner hellen Haut und unter den langen Hosensäumen lugten die verwesenden Stiefel hervor - eine sagenhafte Mischung aus Pirat, Punk und Stallbursche. Seine Haare trotzten den Gesetzen der Schwerkraft ebenso beharrlich wie meine. Verwegen wellten sich ein paar unbezähmbare Strähnen über die Augenbrauen, kitzelten seine Nasenspitze und bildeten im Nacken ein seidiges Nest, das meine Hände auf der Stelle entwirren wollten.
    Schon nach wenigen Sekunden hatten sich Maike und die Zöpfchenfrau stirnrunzelnd von Colin abgewendet, um mit verkniffenen Mündern zu tuscheln, doch ich klebte wie ein hypnotisiertes Kanin­chen auf meinem Barhocker und konnte meine Augen nicht von ihm lösen. Eitel, beschloss ich. Dieser Mann ist unendlich eitel. Und wusste, dass es nicht stimmte. Nun, vielleicht doch - aber nicht so, wie es aussah. Gürtel, Stiefel und Hemd waren keine Ausgeburt ei­nes Designers - sie waren alt. Und sie passten ihm wie auf den Leib geschneidert. Colin stellte alle anderen in den Schatten.
    Er nickte kurz ein paar Leuten zu, die verkniffen zurückgrüßten, und schlenderte dann hinüber zur Tanzfläche. Dort konnte ich ihn nur noch vage als elegante, hochgewachsene und weitgehend bewe­gungslose Silhouette ausmachen. Eine Silhouette, die allein blieb. Nicht ein Mensch näherte sich ihm. Sollte ich es tun? Nein, Ellie, denk gar nicht erst daran, wies ich mich zurecht. Es geschieht ihm recht, allein zu sein. Er hat es nicht anders verdient. Ich glaubte mir selbst nicht, doch ich blieb stark.
    Nach zwei Stunden ermüdender Vereinsgespräche und diverser Biervernichtungsaktionen war mein Hintern eingeschlafen und meine Geduld erschöpft. Entweder es passierte jetzt etwas oder ich würde mir ein Taxi rufen und nach Hause fahren. Ich fühlte mich beduselt und kribbelig zugleich. Und ich war wütend auf Colin. Wie konnte er nur so tun, als würde er mich nicht kennen?
    Der DJ hatte nun offenbar genug getrunken, um sein verbales Entertainment zu vernachlässigen. Wir sollten endlich tanzen, los, tanzen, forderte er uns mit schwerer Zunge auf. Niemand reagierte. »Gut, ihr Kostverächter, dann spiel ich halt ein paar aktuelle Sachen. Depeche Mode zum Beispiel. Gab’s schließlich in den Achtzigern auch schon.« Er klang verzweifelt. Dann hustete er kurz ins Mikro, schaltete es ab und wandte sich mit finsterem Blick seinem Display zu.
    Depeche Mode - ich liebte Depeche Mode, auch wenn Nicole und Jenny sie immer als Altherrenband bezeichnet hatten. Sollte ich doch noch ein wenig warten? Würde der DJ sein Versprechen wahr machen?
    Colin, der elende Mistkerl, war aus der Tanzflächenhöhle nicht mehr hervorgekrochen und inzwischen wechselten immer mehr
    Gäste, sogar Tillmann, in den zweiten Raum über und versperrten mir die Sicht auf seine Gestalt. Doch Madonna-Maike schien sich bei Benni an der Bar äußerst wohlzufühlen und war dabei, ihr vier­tes Bier zu vernichten.
    Ich entschied mich still seufzend zum Rückzug. Gerade wollte ich mich zu Benni und Maike umdrehen und mich verabschieden, als vertraute Klänge an mein Ohr drangen. War das nicht -? Oh, das war tatsächlich Depeche Mode. Mit Wrong. Falsch. Es passte. Ich war falsch hier, in der falschen Zeit, in den falschen Kleidern, im falschen Körper. In der falschen Welt. Wenn es einen Song gab, der zu meinem Leben passte und diesen Abend retten konnte, dann diesen.
    Das stille Verharren wurde zur Qual. Ich linste um die Ecke. Gut, ich würde nicht die Einzige sein, die tanzte. Schon rutschte ich vom Barhocker und lief hinüber zur Tanzfläche. Meine Füße fühlten sich sicher auf den flachen Sohlen meiner Chucks, und ohne dass ich etwas dagegen tun konnte, bewegten sich meine Arme und Beine im Takt der kühlen Beats, während meine Seele auf der kalten und doch so melancholischen Stimme von David Gahan zu schweben begann. Die Musik kroch kühl unter meine Haut. Ich schloss die Augen, bis ich nur noch die flackernden Lichter unter meinen Li­dern wahrnahm. Es war mir egal, wie ich aussah, ob jemand über mich lachte oder nicht. Ich hatte die anderen

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