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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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gelesen und gehört.«
    »Interessierst du dich für Psychologie?«, fragte ich skeptisch.
    »Nur am Rande. Dein Vater ist nicht nur Psychiater. Er hat auch noch andere - Aufgaben ...«
    Das war mir zu schwammig. Welche Aufgaben?
    Doch da war noch ein Gedanke, der die ganze Zeit im Hinter­grund lauerte und sich permanent dagegen wehrte, formuliert zu werden. Es dauerte Minuten, bis es mir gelang; Minuten, in denen mich das Buchstabenfinden körperliche Kraft kostete. Colin ver­harrte bewegungslos neben mir. Hoffte er, dass ich scheitern würde?
    »Aber wenn ... wenn du ihn kennst ... vom Hörensagen ... sei­nen Namen ... und du um ihn weißt ... was - was bist du dann? Wer bist du?« Ich keuchte vor Anstrengung.
    »Das ist jetzt nicht wichtig«, erwiderte er mit unbarmherziger Kälte. »Hast du vergessen, dass du mich ohnehin nicht Wiedersehen darfst?«
    Ich gab auf und es fiel mir viel zu leicht. Schweigend saßen wir nebeneinander und ich wollte nicht glauben, dass all das stimmte, was ich eben erfahren hatte - aber noch weniger wollte ich wahr- haben, dass ich nie wieder hier zusammen mit Colin der Nacht lau­schen und mich von dem schwarzen Sog seiner Blicke in die Tiefe ziehen lassen würde. Eine Tiefe, in der ich mich geborgen und ge­schützt fühlte.
    Mit leer geweinten Augen starrte ich in die Finsternis. Nichts stimmte mehr. In Köln hatte ich jahrelang Theater gespielt. Nun war ich hier, auf dem Land, und musste erkennen, dass auch mein Vater das Theaterspielen perfekt beherrschte. Und meine Trauer darüber vertraute ich einem Menschen an, von dem ich kaum etwas wusste. Ein Käuzchen rief und Mister X, der friedlich neben uns Platz genommen hatte, spitzte aufmerksam seine Zauselohren.
    »Geh nach Hause, bevor er dich suchen lässt. Rede mit ihm.« Co­lins Stimme klang kalt und abweisend.
    »Ich habe kein Zuhause mehr«, erwiderte ich schläfrig.
    »Natürlich hast du das. Geh jetzt. Mister X wird dich begleiten.«
    Ein paar letzte Schritte liefen wir zu dritt. Schon jetzt konnte ich die Wehmut nahen spüren, die mich packen würde, wenn unsere Wege sich trennten. Colin blieb stehen. Es war kein Mond zu sehen und doch spiegelte sich schimmerndes Licht in seinem Gesicht. Ich überlegte nicht mehr, ob er hässlich oder schön war. Nachts war er so schön, dass kein Maler je imstande gewesen wäre, diese Anmut auf Papier zu bannen. Ich konnte mich nicht von ihm abwenden. Mit sanftem Druck drehte er mich um und sein kühler Atem streifte meinen Hals.
    »Lauf. Es wird dir nichts passieren«, flüsterte er.
    Die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag. Dieses Flüstern - ich kannte es. Er war die Stimme gewesen. Colin. Er hatte mich vor der Schule beruhigt und mich gemahnt, mich zu erinnern ... Ich fuhr herum und blickte auf den menschenleeren Pfad. Er war ver­schwunden.
    Übermüdet taumelte ich nach Hause, meine schmerzenden Au- gen auf Mister X gerichtet, der mich zielstrebig führte und erst vor unserer Tür wieder kehrtmachte.
    Papa erwartete mich im Wohnzimmer.
    »Hausarrest«, sagte er nur knapp. »Morgen und die kommenden zwei Wochen.«
    »Gut«, entgegnete ich kühl, bevor ich mich zur Treppe wandte. »Aber wenn du denkst, dass du mich damit mundtot kriegst, hast du dich getäuscht.«
    Von allem, was mir in dieser neuen Welt einigermaßen vertraut geworden war, war nichts mehr geblieben. Und wenn mich nicht alles täuschte, würde ich Colin nie Wiedersehen.
    Angezogen fiel ich aufs Bett und drückte mein heißes Gesicht in den Stoff von Colins Jacke. Ich weinte, bis der Schlaf mich zu sich zog.
    Nachts träumte ich von ihm. Er fing meine Tränen in einem Glas auf und sie schimmerten im Mondlicht wie Edelsteine.

    Befall
    Ich erwachte mit dröhnendem Kopf und einem schwelenden Zorn im Bauch. Meine Gedanken rasten zu Colin und sofort wieder zu­rück zu meinem Vater, wo sie hängen blieben und sich schmerz­haft verbissen. So lange hatte er mich über seine wahre Natur an­gelogen - und noch immer wusste ich nicht, ob ich all die Jahre in Gefahr gewesen war. Colin sagte Nein - aber was bedeutete das schon. Es war lediglich eine Vermutung gewesen.
    Ich kam nicht umhin, mir auch die Frage zu stellen, warum mein Vater mich von Colin fernhalten wollte - war es, weil Colin Einzel­heiten über ihn wusste, die ich nicht erfahren sollte? Oder aber weil Colin - gefährlich war? Tatsächlich gefährlich?
    Doch die Sache mit meinem Vater war dringlicher. Schließlich lebte ich mit ihm unter einem Dach - jetzt, wo

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