Splitterherz
schlug sie dumpf in einen Holzklotz, als würden ihn die Energien, die in ihm tobten, sonst zerreißen. Plötzlich stand er direkt vor mir und seine Augen waren voller Wut, Frustration und Schmerz.
»Das kann ich dir nicht sagen. Ich habe nicht das Recht, es dir zu sagen. Ach, Ellie, er mag mich eben nicht.« Colin brach ab. Angestrengt fuhr er sich mit den Händen durch die Haare. Auch er begann mir Angst zu machen, doch einer würde mir die Wahrheit erzählen.
»Du musst es mir sagen. Du musst«, beharrte ich. Ich zitterte wie Espenlaub und Colins Blick blieb kurz an meinen Tränen hängen, die mein Kinn hinuntertropften. Mein ganzes Gesicht tat mir weh. Mein Kiefer war so angespannt, dass das Sprechen mir Kraft raubte.
Colin schwieg eine Weile. Es wurde gespenstisch still um uns herum. Das Zirpen der Grillen war verstummt und auch der Wind hatte sich gelegt.
»Wie heißt dein Vater, Ellie?«, fragte Colin schließlich. Ich hörte, dass es ihn große Überwindung kostete, diese Frage zu stellen, doch dann war der Bann gebrochen. »Wie heißt er?«, wiederholte er laut. Erneut sah ich diese alarmierende Mischung aus Schmerz und Erstaunen in seinen Augen.
»Leo. Leo Sturm«, stotterte ich hilflos. Was hatte das denn nun mit der ganzen Sache zu tun?
»Wie heißt er?«, wiederholte er noch lauter. »Wie heißt er wirklich?«
Meine Gedanken liefen Amok. Doch dann fiel es mir ein. Natürlich. Kurz vor meiner Geburt hatte Papa Mamas Namen angenommen, weil Mama der Meinung war, kein Mädchen dieser Welt habe es verdient, mit seinem Nachnamen groß zu werden. Es sei schon schlimm genug, dass Paul ihn trug.
»Fürchtegott«, antwortete ich zitternd. »Leopold Fürchtegott.«
Colin stieß einen Laut aus, der so klagend und ärgerlich zugleich klang, dass Mister X sich duckte und unwillig knurrte. Ich war mir sicher, den Verstand zu verlieren, wenn mir nicht sofort jemand sagte, was hier vor sich ging.
Colin trat einen Schritt zurück. Ich blieb schlotternd stehen und sah ihm unverwandt in die Augen, obwohl die Tränen in Strömen über meine Wangen liefen.
»Dein Vater...« Colin holte Luft und blickte mich fest an. »Dein Vater ist ein Halbblut.
Blutsbrüder
»Bitte was?«, fragte ich und zweifelte einen Augenblick an Colins und auch an meinem Verstand. Ein Halbblut? Was sollte das denn sein? Doch er hatte das Wort so unheilvoll ausgesprochen, dass mir nicht nach Scherzen zumute war. Im Gegenteil. Eine eisige Gänsehaut kroch mein Rückgrat hinunter.
»Papa ist kein Indianer oder so etwas - das weiß ich sicher«, warf ich trotzdem halbherzig ein.
»Nein, Ellie«, sagte Colin todernst. »Halbblut bedeutet, dass ... dass er befallen wurde und fliehen konnte, bevor die Bluttaufe vollzogen wurde.«
Na, das wurde ja immer besser. Befallen worden. Bluttaufe. Ich konnte mich nicht erinnern, dass mein Vater jemals von irgendetwas gebissen worden war oder gar eine Narbe trug.
»Von was?«, hakte ich dennoch nach, denn die Ungewissheit zerfraß mich. »Einer Schlange? Einer Spinne? Einer Fledermaus?«
Colin lachte trocken, aber traurig auf und schüttelte den Kopf.
»Ich kann dir das nicht sagen. Ellie, das geht nicht. Du hast es bisher nicht gewusst, dann musst du es auch jetzt nicht wissen.« Er glaubte seine Worte selbst nicht.
»Zwing mich nicht«, bat er mich leise. Gott, war ich müde. Ich war so entsetzlich müde. Nur das Weinen hielt mich wach.
»Sag es mir«, bettelte ich mit letzter Kraft. »Bitte.« Doch er schwieg.
Seine Worte hallten in meinen Ohren nach und wollten sich schon mit meinen aufsteigenden Träumen vermischen. Halbblut. Bluttaufe. Angefallen worden. Das klang nicht nach Tieren. Das klang nach etwas, was es in meiner Realität nicht gab, was es nicht geben durfte - und schon gar nicht in meiner Familie. Es klang dämonisch.
»Das ist nicht wahr«, flüsterte ich. »Nein, das ist nicht wahr ...«
Bevor der Schlaf mich zu Boden reißen konnte, hastete ich an Colin vorbei in das Dickicht des Waldes. Ich wollte fliehen, fort von all diesen schrecklichen Wörtern und Vermutungen, die meinen Kopf zu sprengen drohten. Irgendwie musste ich auf den Pfad gelangen, der mich nach Hause brachte. Nach Hause? Was war mein Zuhause?
Zweige schlugen mir ins Gesicht und Dornengeflecht zerkratzte mir die Arme. Immer wieder hielten Wurzeln mich auf oder es schlang sich Gestrüpp wie Fesseln um meine Knöchel, sodass ich stolperte. Schräg neben mir glühten zwei runde
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