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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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ich Hausarrest hatte, mehr denn je. Und die Vorstellung, dass er sich nachts zu mir ge­schlichen hatte, um meine Träume aufzusaugen, war alles andere als behaglich.
    Meiner Mutter wagte ich nicht, in die Augen zu sehen. Sie behan­delte mich sehr nachsichtig, aber ich hatte keine Ahnung, ob sie das tat, weil sie alles wusste oder weil Papa ihr seine Version erzählt hat­te. Die von dem Schwerenöter, der kleine Mädels schwängerte und dann verließ. Beides hätte ihr leidgetan - zu Recht.
    Zwischen Papa und mir herrschte eisiges Schweigen. Wir gingen uns aus dem Weg. Nach dem Abendessen, das wir wiederum 

    schwei­gend eingenommen hatten, hielt ich die bedrückende Stimmung im Haus nicht mehr aus. Ich musste mit Papa reden, sonst würde ich heute Nacht kein Auge zu tun. Mit klammen Händen klopfte ich an die Tür seines Arbeitszimmers.
    »Komm rein, Elisabeth«, tönte seine klare, tiefe Stimme in den Flur. Die gleiche Hellsichtigkeit wie Colin. Ich schluckte krampf­haft. Meine Kehle schien plötzlich eng zu werden und ich hatte das aberwitzige Bedürfnis, mich mit irgendetwas zu bewaffnen. Vor­sichtig trat ich ein.
    Papa saß hinter seinem Schreibtisch, der fast vollkommen leer war. Offensichtlich hatte er Stunden damit zugebracht, nachzuden­ken und mit den Fingern durch seine welligen Haare zu fahren. Sie standen in alle Himmelsrichtungen ab, was den intensiven Aus­druck seiner tief liegenden Augen nur noch mehr betonte. Ich konnte ihn nicht mehr so unbefangen betrachten wie zuvor. Er war nicht mehr derselbe für mich. Überall suchte ich nach Spuren und Indizien. Stumm setzte ich mich auf das grüne Sofa und starrte auf meine bestrumpften Zehenspitzen. Ich hörte, wie Papa tief durch­atmete.
    »Gut. Du willst also die Wahrheit wissen, Elisa?« Erstaunt hob ich den Kopf und schaute Papa fragend an. Er erwiderte meinen Blick mit unerschütterlicher Ruhe.
    »Oh ja, das will ich«, sagte ich. War es tatsächlich so einfach?
    »In Ordnung. Eigentlich darf ich das nicht, aber du bist meine Tochter und es geht um deine Sicherheit. Deshalb werde ich die ärztliche Schweigepflicht ausnahmsweise brechen.«
    Ärztliche Schweigepflicht? Was kam denn jetzt für eine Geschich­te?
    »Dieser junge Mann von gestern ...«
    »Colin«, unterbrach ich ihn.
    »Ja, Colin. Er ist einer meiner Patienten«, fuhr Papa ungerührt fort. »Ein schwieriger Fall. Sehr intelligent und in ausgezeichneter körperlicher Verfassung. Aber er leidet unter einer gefährlichen Ver­flechtung von wahnhafter Schizophrenie und Borderlinestörung. Das führt unter anderem dazu, dass er stalkt und versucht, andere Menschen mit abstrusen Geschichten an sich zu binden - vor allem junge Mädchen. Und zwar gerne, indem er deren Elternhaus in den Schmutz zieht.«
    Ich schwieg fassungslos. Colin sollte geisteskrank sein? Ein Stalker? Ich suchte Papas Augen, doch er schaute nachdenklich auf sein Bücherregal.
    »Dann hast du dich gestern ja nicht sehr professionell verhalten«, sagte ich mit brüchiger Stimme.
    »Elisa, was erwartest du von mir - es ging schließlich um meine Tochter. Kein Vater sieht es gerne, wenn ein solcher Typ sich das ei­gene Mädchen krallt.«
    »Er hat mich nicht gekrallt«, erwiderte ich scharf. Das konnte man nun wirklich nicht behaupten. »Er hat mich weggeschickt, und zwar immer wieder.«
    »Aber nicht sofort, oder?«, fragte Papa. Es klang irgendwie trium­phierend. »Er lässt dich an sich heran, führt Begegnungen herbei und schickt dich wieder weg. Paff. Ich sagte doch, ein Stalker. Zu­ckerbrot und Peitsche. Damit kriegen sie ihre Opfer butterweich.«
    »Ich bin kein Opfer.« Ich habe ihn aufgesucht, aus freien Stücken, dachte ich zu Ende, was ich nicht wagte auszusprechen. Und trotz­dem. Wenn Papa die Wahrheit sagte, war sie ernüchternd. Dann war Colin der schlimmste Männerfehlgriff, den ich je gemacht hatte. Und derer hatte es schon einige gegeben.
    »Was hat er dir denn so erzählt?«, fragte Papa lauernd. Irgend­etwas an seiner Körperhaltung machte mich misstrauisch. Vielleicht war es besser, nicht mit allem herauszurücken und mich dumm zu stellen.
    »Eigentlich, dass du der Bekloppte bist. Und ich war versucht, es zu glauben«, antwortete ich zögerlich. »So eine Geschichte von ge­stohlenen Träumen und geklauten Gefühlen. Keine Ahnung. Ich hab’s nicht kapiert.«
    Papas Hand zuckte kurz. Dann gewann er seine Fassung wieder. Du lügst, dachte ich empört. Du lügst immer noch.
    »Es tut mir leid, dass

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