Splitternest
ihr wissen. Frieden!« Sie rief das Wort laut, damit alle es hören konnten.
»Das habe ich auch gehört«, bestätigte ein nahe stehender Mann mit derbem Gesicht. »Seit Fürst Baniter den Scaduif freigelassen hat, herrscht Frieden. Der Goldéi verwandelte sich in weißen Nebel und schwebte an den Glastürmen empor gen Himmel. Er ist zu seinen Brüdern zurückgekehrt und hat ihr Heer aufgehalten. Ja, der Fürst hat uns gerettet!«
»Nein, das war Nhordukael«, widersprach ein anderer, der ein weißes Band um die Stirn trug. »Er schlug die Goldéi zurück. Er ging für uns in die Sphäre und kämpfte im verborgenen gegen die Mächte der Finsternis. Ihm haben wir den Frieden zu verdanken.«
Sie stritten nun eifrig miteinander, überboten sich mit Behauptungen und Vermutungen. Nur einer schwieg; ein rothaariger Mann mit wässrigen Augen und einem schiefen Mund. Er hörte zu, sagte jedoch selbst kein Wort. Schließlich wandte sich der Kahlköpfige an ihn.
»Was denkst du? Wer hat uns den Frieden gebracht – Baniter oder Nhordukael?«
Der Rothaarige zuckte mit den Schultern. Er gab keine Antwort.
»Wer bist du eigentlich?« fragte sein Gegenüber.
»Kommst du aus Troublinien? Warst du ein Gefolgsmann des verschollenen Kaisers? Wie ist dein Name?«
»Ich habe ihn vergessen«, murmelte der Rothaarige.
Er erntete Gelächter. »Du hast ihn vergessen? Nun, es ist gleich. Wir können uns alle glücklich schätzen, am Leben zu sein. Was zählen da Namen und Erinnerungen! Selbst diese Stadt ist namenlos geworden.«
Die Leute schmunzelten. Natürlich kannten sie alle den Namen der Stadt, doch dieser seltsame Ort mit seinen fremden Türmen hatte nichts mit dem alten Vara gemein, und ihr Leben wenig mit dem, das sie vor der Wandlung geführt hatten. Ja, es war ein Neubeginn … alle spürten es, und das heitere Lied der Flöte schien die neue Zeit anzukündigen.
»Was wurde aus Fürst Baniter?« fragte der Junge mit dem Stirnband. »Wo ist er?«
»Im Palast«, antwortete die hagere Frau. »Viel ist von dem hässlichen Bau nicht übrig geblieben. Aber Fürst Baniter hat sich trotzdem dort verkrochen. Er hat schreckliche Wunden davongetragen, als er gegen Binhipar Nihirdi kämpfte.«
Die Menschen nickten. Alle hatten von dem Kampf der Fürsten am Stillen See gehört; von Binhipars Ende, von dem schaurigen Mahl seiner Hunde …
»Zerfetzt haben sie ihn«, verriet der Kahlköpfige. »Er war am Ende nicht mehr zu erkennen. Wie sehr müssen die Biester ihn gehasst haben!«
Nun horchte der rothaarige Mann auf. »Binhipar ist tot? Seid ihr euch sicher?«
»Tot wie die Geisterwesen, denen er die Kehlen durchschnitten hat. Tot wie Kaiser Akendor und sein missratener Sohn.« Ein befreiendes Lachen erfasste die Menge. »Wir werden sie nicht vermissen, keinen von ihnen.«
»Tot also«, murmelte der Rothaarige. »Zerrissen von den Hunden. Das ist nur gerecht.« Seine Mundwinkel zuckten. Dann stimmte er in das Gelächter ein, während das Flötenspiel schneller wurde und die ersten Menschen sich an den Händen fassten, um miteinander zu tanzen, am Fuß der gläsernen Türme und im strahlenden Sonnenlicht.
Die Frau war noch jung. Baniter schätzte sie auf Anfang Zwanzig. Sie hatte ein freundliches, scheues Gesicht; zarte Wangen, ein Grübchen in ihrem Kinn. Die schlechten Zähne zeugten von ihrer ärmlichen Herkunft. Volle Brüste zeichneten sich unter ihrem Leinhemd ab.
In ihren Armen lag der Säugling. Er hatte die Augen geschlossen, schien aber wach, denn er ruderte mit den Armen, fast so, als wolle er fortschwimmen, hinaus in die Welt. Baniter schmunzelte.
Kleine Prinzessin … so jung und schon auf der Flucht? Wo willst du denn hin? Gharax mag kein freundlicher Ort sein, da er dir so früh die Mutter raubte. Aber wir haben nur diese eine Welt. Wir müssen auf ihr leben und versuchen, sie besser zu machen. Diese Stadt ist ein Anfang.
»Wann übergab der Fürst dir das Kind?« fragte er.
»Vor sechs Tagen. Er ließ mich in den Palast kommen und befahl mir, sie zu stillen.« Tränen rannen der Frau über die Wangen. »Er war grob zu mir und drohte, mich zu töten, wenn ich ein Wort darüber verliere. Seine Augen machten mir Angst.«
»Ja, er verstand es, Menschen einzuschüchtern.« Baniter trat nah an sie heran. »Er kann dir nichts mehr tun. Binhipar Nihirdi ist tot.«
Sie schien seine Worte kaum zu hören. »Mein eigenes Kind, mein kleiner Sohn … die Schatten haben ihn geholt, Fürst Baniter. Er war erst ein
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