Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Splitternest

Titel: Splitternest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markolf Hoffmann
Vom Netzwerk:
»Erinnerst du dich daran, als du nach Taruba kamst, zur Großgilde von Troublinien? Du warst so schüchtern, Uliman, und enttäuscht von deinem Vater, der dich weggeschickt hatte.«
    Der Schwan fauchte. Zugleich stieß die Frau einen Namen hervor. »Akendor! Akendor Thayrin!«
    »Ja, dein Vater, der Kaiser. Er hat dich allein gelassen. Und auch ich ließ dich im Stich, als Rumos dein Lehrmeister wurde.« Aelarian zog die Hand aus der Tasche. Er hatte sie zur Faust geschlossen. »Erinnerst du dich an unsere Wanderungen durch Troublinien? An den Tag, als wir auf das Meer blickten und das Spiel der Wellen beobachteten? Du hast so fröhlich gelächelt, Uliman. Du warst glücklich. Erinnerst du dich?«
    Der Schwan schrie. Heftig schlug er mit den Flügeln. Ein Schwall zäher Schwärze schlug Aelarian ins Gesicht. Er keuchte, sackte zu Boden. Eisiger Schmerz breitete sich in seinem Hals aus, wurde mit jedem Atemzug schlimmer. Kälte kroch in seine Glieder.
    »Der Stein!« Er hörte die Stimme eines Kinds. Sie klang verzagt und weinerlich. »Du hast mir einen Stein gegeben, damals auf dem Felsen.«
    Aelarian richtete sich stöhnend auf. In den Schwaden war der Umriss des Jungen zu erkennen, blonde Locken, der Kopf auf dem dürren Schwanenhals, zitternde Flügel, die eng an dem schmalen Leib anlagen. Halb Kind, halb Schwan, die Augen verzweifelt, gläsern, tränenschwer.
    »Ein Stein … blau wie das Meer … du hast ihn mir geschenkt, Aelarian!«
    »Ja, es war ein Geschenk.« Der Großmerkant öffnete die Faust. Auf der Handfläche lag ein blauer Kiesel, unscheinbar, mit winzigen Sprenkeln und Rissen. »Ein Stein, damit du immer an mich denken wirst, und an den Tag auf dem Felsen. An das Meer und an die Stunden, die wir zusammen verbrachten.« Seine Stimme stockte kurz. »Du hast ihn mir zurückgesandt, in einem Brief. Wolltest du ihn nicht mehr haben? Wolltest du dich nicht mehr an mich erinnern?«
    »Rumos befahl es.« Uliman schluchzte. »Er sagte, ich wäre zu schwach … zu schwach, um Kaiser zu werden … der Schwan sollte mich stark machen, wenn ich ihn in meine Nähe ließe … meine Tage und Nächte mit ihm verbringe.« Schwärze schmauchte um die Federspitzen der Flügel. »Aber der Stein … gehört mir. Er war doch ein Geschenk!«
    »Ich habe ihn für dich aufbewahrt, all die Jahre. Nimm ihn. Er glänzt noch immer wie das Meer, siehst du?«
    Ein Ruck ging durch Ulimans Körper. Die Flügel richteten sich auf. Das Gefieder sträubte sich.
    Dann lösten sich die Federn. Sie fielen herab, lautlos. Der Wind griff nach ihnen und wehte sie empor in die Lüfte. Zurück blieben die nackten Arme des Jungen, und seine Hände, schneeweiß. Er bewegte sie unsicher, krümmte die Finger. Der dürre Schwanenhals schrumpfte, und der Hals sank mit einem Knacken auf die Schultern.
    »Ich will, dass der Schwan mich in Ruhe lässt … nicht mehr in meinem Kopf umherspukt … mich nicht mehr mit seinem Fauchen ruft.« Uliman nahm den Stein aus Aelarians Hand. »Kannst du ihn verjagen, Aelarian? Er soll mich nicht länger quälen.«
    Die Schwärze um Aelarian zerfiel zu winzigen Tropfen und verteilte sich in der Luft. Schon kehrte das Licht auf den Felsen zurück. Am Himmel waren Wolken zu erkennen, fern und grau.
    »Du hast ihn selbst verjagt.« Der Großmerkant erhob sich. Er streichelte den Kopf des Jungen, und dieser legte die Arme um ihn. »Er kommt nicht zurück, wenn du es nicht willst.«
    »Ich will es nicht«, flüsterte Uliman. »Nein, ich will es nicht.«
    In seinen Händen glänzte der Stein. Er umschloss ihn fest mit den Fingern, als wollte er ihn nie wieder loslassen.
    Die Schwärze aber floh von dem Felsen. Der Wind wehte sie fort und zerstäubte sie. Sie verlor sich zwischen den Luftstößen. Der Himmel klarte auf.
    In der Ferne, über dem Meer, huschte ein Lichtstrahl über die Wellen. Es war der rötliche Feuerschein des Leuchtturms.
    »Der Hauch von Nekon vergeht«, murmelte Aelarian. Er sah sich nach Ulimans Gefolge um. Die zerlumpten Menschen waren zurückgewichen. Sie standen unsicher vor der Roten Kordel und beobachteten Uliman, der sich noch immer an den Großmerkanten schmiegte. Einige tasteten nach ihren Stirnen, um die verkrusteten Linien der Rosenzeichen zu verbergen.
    Von der Bucht aber drang ein Johlen empor. Unten winkten die Fischer aus Rhagis. Aelarian entdeckte Stollings blütenweißes Hemd. Cornbrunns leuchtenden Schopf. Er erwiderte ihren Gruß und lächelte. Der Fluch der Bathaquar war

Weitere Kostenlose Bücher