Splitterwelten 01 - Zeichen
unterhalb des aufgelassenen Gewölbes befand sich eine weitere Höhle, die von Laternenschein beleuchtet wurde – und wohin Kieron auch blickte, überall waren Sklaven!
Sie klopften Felsgestein, schoben eiserne Bergwerksloren oder trugen schwere, mit Gesteinsbrocken gefüllte Körbe – aber sie waren nicht mit jenen Sklaven zu vergleichen, die es auf Madagor und anderen Welten gab und zu denen auch Kieron gehört hatte. Diese hier sahen aus wie Leichen, nur dass sie sich noch auf zwei Beinen bewegten – halbnackte, ausgemergelte Gestalten mit leerem Blick, die dem Tode näher waren als dem Leben.
Die meisten von ihnen waren Menschen, Männer wie Frauen, es waren auch Animalen darunter; Kieron sah einige Caniden und ein Rudel Schlangenmenschen. Und er sah die Aufseher, brutale Rhinoceriden, die allein schon aufgrund ihrer Leibesmasse einschüchternd wirkten. Die gepanzerte Haut und das mörderische Horn auf ihren Schnauzen verstärkte diesen Eindruck noch. In ihren Pranken hielten sie Peitschen, mit denen sie die Gefangenen antrieben. Bisweilen hatte sich Kieron gefragt, wie der Orcus aussehen mochte, jene düstere Hölle, die sich unter dem Mahlstrom befand – dies hier kam seiner Vorstellung nahe.
Von seinem hohen Beobachtungsposten aus konnte er sehen, wie einer der Sklaven – ein gebrechlicher Mensch mit grauem Haar – unter der Last seiner Bürde niederging. Hustenkrämpfe schüttelten ihn, und obwohl er alles daransetzte, wieder auf die Beine zu kommen, gelang es ihm nicht. Sofort waren zwei Aufseher bei ihm. Der eine packte ihn grob und riss ihn in die Höhe, der andere holte mit der Peitsche aus und schlug auf ihn ein.
Entsetzt sah Kieron, wie sich das Leder in die nackte Haut des Mannes grub, hörte seine verzweifelten Schreie – und das derbe Gelächter seiner Peiniger.
Der Junge hatte das Gefühl, den Schmerz am eigenen Leibe zu spüren. Wut überkam ihn, und er bückte sich spontan und las einen faustgroßen Stein vom Boden auf, bereit, ihn auf die Rhinoceriden zu werfen. Noch ehe er recht zum Nachdenken kam, hatte er seine Wurfhand bereits erhoben, zielte und wollte tatsächlich werfen – als ihn jemand an der Schulter packte und zurückriss.
Es war Croy. Im dunklen Gesicht des Pantheriden schienen sich alle Schrecken dieses Ortes zu spiegeln. Dennoch schüttelte er den Kopf. »Du hilfst ihnen nicht, indem du dich sinnlos opferst«, raunte er Kieron zu. »Glaub mir, Junge, ich weiß, wovon ich spreche.«
»Aaa-aber«, wandte Kieron voller Empörung ein, während er den Stein bereits sinken ließ.
»Ich weiß«, sagte Croy nur. Mit behutsamer Gewalt zog er ihn von der Öffnung weg, und sie setzten ihren Weg fort.
Der Klang der Hämmer und die Schreie der Sklaven fielen hinter ihnen zurück, als sie in einen weiteren verlassenen Stollen einbogen, der nach rund einhundert Schritten in eine steil abfallende Treppe überging. Im Licht der Fackel sah Kieron die Ablagerungen auf dem Fels – grüne und gelbe Linien, die über das dunkle Gestein mäanderten und die im Feuerschein geheimnisvoll glitzerten. Erneut überkam ihn ein eigenartiges Gefühl von Vertrautheit.
Eine ganze Weile lang stiegen sie hinab. Bald wand sich die Treppe, bald verlief sie geradeaus, hin und wieder waren die Stufen auch abgebrochen, sodass die Gefährten über steile Kare von Schutt und Geröll absteigen mussten. Schließlich erreichten sie den Grund und gelangten in einen Stollen, der breiter war und glattere Wände hatte als alle vorangegangenen. Auch waren die Balken, die die Decke stützten, nicht wie zuvor aus Holz gefertigt, sondern aus Metall, das alt und rostig war – und in dessen Oberfläche rätselhafte Zeichen eingeprägt waren!
Kieron war wie vom Donner gerührt.
»Das ist es«, flüsterte er.
»Das ist was?«, plärrte Jago.
»Der Ga- der Gang aus meinem Traum. Ich erkenne ihn wie-wieder …«
»Blödsinn, Mensch«, maulte der Chamäleonide, »das bildest du dir doch nur ein!«
»Nei-nein, ich bin ganz sss-sicher«, bekräftigte Kieron, der nicht wusste, ob er über seine Entdeckung nur verwundert oder lieber entsetzt sein sollte. »Ich habe diesen Stollen schon einmal ge-gesehen …«
Croy schien nicht überrascht. »Wie ich schon sagte, es ist kein Zufall, dass du hier bist«, meinte er nur. »Wir alle folgen einer Bestimmung.«
»Ach ja?«, maulte Jago. » Meine Bestimmung war es, auf Madagor ein Lokal zu betreiben und mir dabei eine goldene Zunge zu verdienen! Was ist damit?«
»Jetzt
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