Splitterwelten 01 - Zeichen
sieben Jahre widerfahren war, Freude und Kummer, Erfolg und Misserfolg, Triumph und Niederlage. Den Regeln der Gemeinschaft entsprechend waren sie zu Schwestern geworden, sorores facto animoque – in der Tat wie im Geist.
»Meisterin Cedara und ich werden Ethera verlassen«, begann Kalliope endlich, »und das macht mir Angst.«
»Wovor solltest du Angst haben?« Prisca blickte sie von der Seite an. »Die Reise nach Jordråk ist deine Möglichkeit, dich zu bewähren. Du könntest die Windweihe dadurch eher erlangen als jede andere von uns. Du solltest dich darüber freuen.«
Kalliope schluckte. »Ich weiß. Aber ich freue mich nicht.« Langsam wandte sie den Kopf und sah ihre Zimmergenossin nun doch direkt an. »Ich will nicht von hier fort. Anfangs dachte ich, es wäre nur die Furcht vor der Ungewissheit, die Meisterin Cedara und mich dort draußen erwartet. Aber das allein ist es nicht. Etwas ist anders als zuvor, Prisca. Etwas hat sich verändert.«
»Etwas? Was meinst du? Meisterin Cedara?«
»Auch ihr Verhalten hat sich in den vergangenen Tagen geändert«, stimmte Kalliope zu, »sie ist ernst und schweigsam geworden. Aber das allein ist es nicht. Ich wünschte, ich könnte es dir erklären, aber da ist nur diese Ahnung … Dieses Gefühl, das mir immerzu sagt, dass die Dinge niemals wieder so sein werden wie zuvor.«
»Unsinn«, widersprach Prisca ebenso sanft wie entschieden, »das redest du dir ein. Du weißt, dass die Empfindung nur eine Quelle der Weisheit ist …«
»… Wissen und Vernunft die anderen«, vervollständigte Kalliope das Zitat aus dem codex . »Ich weiß. Aber die Furcht, die ich empfinde, ist stärker als alle ratio . Ich fühle, dass sich etwas verändert hat, und ich fürchte mich vor dem, was diese Veränderung bringen wird. Nicht nur für mich und für Meisterin Cedara – auch für dich und unsere ganze Gemeinschaft.«
Prisca rückte näher an sie heran und legte ihr beruhigend einen Arm um die Schultern. »Veränderungen hat es immer gegeben, Kalliope, und die Gilde hat ihnen zu allen Zeiten tapfer getrotzt.«
»Auch das weiß ich«, räumte Kalliope ein und ließ den Kopf auf die Schulter der Freundin sinken, so wie sie es früher oft getan hatte, als sie beide noch junge Mädchen gewesen waren und die Dinge um vieles einfacher. »Dennoch sind es dunkle Zeiten. Hast du gehört, dass auch auf anderen Welten Schwestern der Gilde verschwunden sein sollen?«
»Ja«, gestand Prisca leise, »das habe ich. Aber Meisterin Harona sagt, dass es nur unbestätigte Gerüchte sind.«
»Meisterin Audra sagt etwas anderes«, widersprach Kalliope leise. »Sie behauptet, dass auch auf Kolchis eine Angehörige unserer Gemeinschaft verschwunden sei, ebenso auf Ker Daban. Und auf Ayforas hat es angeblich einen gewaltsamen Übergriff auf die dortige missa gegeben.«
»Angeblich«, bekräftigte Prisca ruhig. »Audra ist alt und voller vager Empfindungen. Es gibt auch Schwestern, die behaupten, dass ihr Verstand unter der Last ihres Alters gelitten hätte.«
Kalliope nickte. Priscas Meisterin Harona war bekannt dafür, der Vernunft gegenüber allen anderen Quellen der Weisheit den Vorzug zu geben, sodass es nicht verwunderlich war, wenn auch ihre Schülerin nichts auf das Gerede einer alten Gildeschwester gab. Andererseits hatte Audra in ihrem langen Leben viel gesehen und erfahren, entsprechend groß mussten ihr Wissen und ihre Voraussicht sein.
»Im Lauf der Geschichte hat es zahllose Kreaturen gegeben, menschliche wie nichtmenschliche, die die Schwestern der Gilde um ihre Fähigkeiten und ihre herausragende Stellung beneidet haben, und zu allen Zeiten sind wir dafür angefeindet worden«, erwiderte Prisca ruhig. »Dennoch ist es uns stets gelungen, diese Missstimmungen auszugleichen und die Welten des Sanktuarions in der Balance zu halten.«
»Das ist wahr.« Kalliope richtete sich auf und sah ihre Freundin herausfordernd an. »Aber was, wenn etwas dieses Gleichgewicht bedroht? Wenn all der Hass, der die Weltenherren untereinander entzweit, sich plötzlich gegen uns richten würde? Hast du darüber schon einmal nachgedacht?«
»Was willst du damit sagen?«, fragte Prisca, schärfer als zuvor. Im Halbdunkel konnte Kalliope sehen, wie die grauen Augen der Freundin sich prüfend verengten.
Kalliope zögerte. »Meisterin Audra sagt, dass es Krieg geben könnte«, äußerte sie dann mit bebender Stimme ihre größte und ärgste Befürchtung, die sie bislang niemandem anvertraut hatte, im
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