Splitterwelten 01 - Zeichen
Grunde noch nicht einmal sich selbst. »Eine Auseinandersetzung, die nicht zu vergleichen ist mit den Zwistigkeiten der Weltenherren untereinander, sondern die das gesamte Sanktuarion erfassen und es ins Chaos stürzen wird. Wenn das geschieht, Prisca, möchte ich nicht irgendwo auf einem entfernten Weltensplitter weilen, sondern hier auf Ethera, bei den Menschen, die ich liebe. Kannst du das verstehen?«
Prisca betrachtete sie prüfend, und einige Augenblicke lang war nicht zu erkennen, was hinter der unbewegten Miene der Freundin vor sich ging. Dann jedoch streckte sie die Arme aus und zog Kalliope an sich heran.
»Ich kann deine Befürchtungen verstehen, aber ich denke, dass deine Sorgen unbegründet sind. Die Erhabene Schwester wird nicht zulassen, dass es so weit kommt, ihre Weisheit wird uns führen, so wie sie uns immer geführt hat. Auf sie musst du vertrauen, Kalliope, dann wird alles gut.«
»Glaubst du?«
»Nein.« Prisca beendete die Umarmung und fasste sie so an den Schultern, dass sie ihr tief in die Augen blicken konnte. »Ich weiß es, Schwester.«
Von den Worten ihrer Freundin und der Überzeugung, mit der sie sie sprach, ging etwas Beruhigendes aus. Kalliope nickte, und ein Lächeln huschte über ihre Züge, das sie wärmte wie ein knisterndes Feuer.
»Danke.«
»Schon gut.« Prisca erwiderte das Lächeln. »Wozu ist eine Schwester da?«
Sie wandte sich ab und wollte aufstehen, um in ihr eigenes Bett zurückzukehren. Kalliope jedoch ergriff ihre Hand und hielt sie fest. »Ganz gleich, was dort draußen geschieht, und egal, was die Zukunft bringen wird – ich werde dich nie vergessen. Das schwöre ich.«
Prisca deutete ein Nicken an. Wenn sie Rührung verspürte, so war es nicht zu erkennen. »Und ich erwidere den Schwur«, entgegnete sie flüsternd. »Wir wollen niemals vergessen, wer wir sind und woher wir einst kamen.«
Kalliope lächelte, und die Zuneigung, die sie in diesem Augenblick verspürte, war überwältigend. Eine endlose Weile lang hielten sie einander bei den Händen, und plötzlich sah Kalliope die Mitschwester, mit der sie seit sieben Jahren diese Kammer teilte, mit anderen Augen.
Sie sah die edlen Züge mit der etwas zu spitzen Nase, den schlanken, anmutig geformten Hals, auf den das feuerrote Haar fiel, die schmalen, aber rosigen Lippen – und spürte das unbändige Verlangen, sie zu liebkosen. Gleichzeitig erschrak sie, denn die Wege, die ihre Gedanken in diesem Augenblick beschritten, waren verboten. Dennoch ertappte Kalliope sich dabei, dass sie sie weiter ging.
Und weiter …
Ihr Herzschlag beschleunigte sich, und einen endlos scheinenden Augenblick lang hatte sie das Gefühl, dass Prisca, die sie nicht weniger unverwandt anblickte, dasselbe empfand und dieselben Empfindungen hegte. In unendlicher Langsamkeit, so als würde sie einen Traum durchleben, beugte sich Kalliope vor. Einen Augenblick schwebten die Gesichter der beiden Schülerinnen dicht voreinander, so als gäbe es eine unsichtbare Barriere, die sie trennte. Dann jedoch erlosch auch diese, und ihre Lippen begegneten einander, zärtlich und voller Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit in einer unsicher gewordenen Zeit.
4. Kapitel
Es ging so schnell, dass Kierons Augen kaum folgen konnten.
Im einen Augenblick hatte sich der Pantheride noch an die beiden Wachtposten herangeschlichen – im nächsten Moment lagen sie mit durchschnittenen Kehlen auf dem Boden.
Mit vor Entsetzen geweiteten Augen starrte der Junge auf die beiden leblosen Echsenmänner, die der Schein der Kürbislaternen in unheimliches Licht tauchte. Sein Herz schlug heftig, Schweiß stand ihm auf der Stirn, was nicht nur an der drückenden Schwüle Madagors lag.
»Worauf wartest du?« Der Panthermensch, der, wie Kieron inzwischen wusste, auf den Namen Croy hörte, nickte ihm auffordernd zu. »Los doch, wir müssen weiter!«
Kieron wusste selbst nicht, warum er der Aufforderung Folge leistete. Vielleicht, weil er dem Pantheriden gegenüber eine gewisse Dankbarkeit empfand. Vielleicht aber auch, weil ihn die schlanke, von blauschwarz glänzendem Fell überzogene Gestalt, deren gelbe Augen im Dunkeln zu leuchten schienen, einfach nur Furcht einflößte. Oder weil er es als Sklave schlicht gewohnt war zu gehorchen.
Es war wohl etwas von allem, das ihn dazu bewog, den halbwegs sicheren Posten auf der Astgabel aufzugeben und auf die Plattform hinabzuspringen, die zwischen den Bäumen befestigt war und den Vorplatz zu einem Gebäude
Weitere Kostenlose Bücher