Sportreporter
ein weiteres Gähnen nicht unterdrücken.
Walter preßt plötzlich die Hände zwischen seinen nackten Knien zusammen und fixiert mich mit einem seltsamen Bittstellerblick. »Ich weiß, daß alles möglich ist, Frank. Aber als ich es Warren gegenüber erwähnte, meinte er, es sei eine Tragödie, die ganze Geschichte, und ein Jammer, daß niemand anrief, der die Familie mit einer Nachricht hätte beruhigen können. Selbst die Nachricht von ihrem Tod wäre eine Erleichterung gewesen.«
»Das bezweifle ich.«
»Okay, das ist ein Punkt. Wir müssen alle sterben. Das ist doch keine Tragödie, Herrgott noch mal. Schlimm ist vielmehr ein beschissenes, zynisches, gefühlloses Leben, jemand wie Yolanda, die diese armen Leute anruft und ihnen das Leben für fünf Minuten noch schwerer macht, nur weil sie es sich nicht verkneifen kann, aus dem Sterben einen Witz zu machen. Und so ist das doch überall, wo du hinsiehst …«
»Ach du lieber Gott.«
»Okay, Frank, vergiß es. Ich will dir trotzdem noch den Rest erzählen, zumindest den Teil, der dich nicht in Verlegenheit bringt.«
Aber wie könnte ich beim Zuhören, während Walter von der großen Stunde seiner Verzauberung spricht, etwas anderes empfinden als Langeweile, so als sähe ich einen Lehrfilm aus der Industrie oder hörte einen Vortrag über die Physik der Dreipunktlandung? Was konnte er mir schon erzählen, das ich mir nicht selbst zusammenreimen konnte, falls ich Interesse hatte? Das Intimleben der Leute hat für mich nichts Unterhaltendes, nur ihr Leben in der Öffentlichkeit.
»Es war wie eine Freundschaft, Frank.« Walter blickt plötzlich so bekümmert drein wie ein Sargträger. »Wenn du das glauben kannst.« (Was soll ich dazu sagen?) »Irgendwie kann ich meine Gefühle nicht richtig ausdrücken, was? Ich weiß nur, was er sagte. ›Der Tod ist keine Tragödie‹, etwas Merkwürdiges, ich weiß nicht. Und ich sagte darauf: ›Laß uns hier abhauen.‹ So wie du das zu einer Frau sagen würdest, wenn du glaubst, du seist in sie verliebt. Es hatte für uns beide nichts Schockierendes. Wir standen einfach auf, traten aus dem Funicular , stiegen gleich am Bowling Green in ein Taxi und fuhren stadteinwärts.«
»Wie seid ihr aufs Americana gekommen?« Es gibt für mich natürlich nicht den geringsten Grund, danach zu fragen. In Wirklichkeit möchte ich Walter nur am Revers packen und ihn rauswerfen.
»Seine Firma hat da für die Leute, die abends mal länger arbeiten, ständig einige Zimmer reserviert, Frank. Du findest das wahrscheinlich ziemlich ironisch, nicht wahr?«
»Ich weiß nicht, Walter, irgendwo muß man ja wohl übernachten.«
»Es hört sich sogar für mich blöd an. Zwei Wall Street-Typen, die’s im Americana miteinander treiben. Manchmal gehst du deiner eigenen Blödheit auf den Leim, nicht wahr, Frank?« Er brennt darauf, mir die ganze jämmerliche Geschichte zu erzählen.
»Wie geht’s jetzt weiter, Walter? Wirst du Warren, oder wie immer er heißt, wiedersehen?«
»Wer weiß das schon, Frank. Ich bezweifle es. Er ist in Neufundland oben ganz glücklich, glaube ich. Für mich gründet die Ehe auf dem Mythos der unbegrenzten Dauer, und ich glaube, ich bin gegenwärtig ziemlich fest mit dem Hier und Jetzt verheiratet.« Walter zieht in der Art eines Experten die Nase hoch, auch wenn ich nicht die leiseste Ahnung habe, wovon er eigentlich redet. Er könnte ebensogut die Gettysburg-Ansprache auf suaheli rezitieren. »Warren empfindet das nicht so, nach allem, was ich weiß. Und das ist mir auch recht. Ich glaube, ich bin auf Dauer sowieso nicht der richtige Typ dafür, Frank. Auch wenn ich sagen muß, ich bin noch nie in meinem Leben jemandem nähergestanden. Yolanda bestimmt nicht. Ja nicht mal meinen Eltern, was einem kleinen Bauernjungen aus Ohio ganz schön angst machen kann.« Walter zeigt mir das breite Grinsen eines ängstlichen kleinen Bauernjungen aus Ohio. »Die Sache mit der unbegrenzten Dauer gilt für mich schon lange nicht mehr; sie stützt sich ohnehin nur auf eine Angst vor dem Tod. Dir ist das natürlich bekannt. Es ist schließlich auch die Grundlage des Big Business. Die Vorstellung, plötzlich sterben zu müssen und ein großes Durcheinander zu hinterlassen, macht mir keine angst mehr, Frank. Dir vielleicht?«
»Nervös macht es mich schon, Walter, das geb ich zu.«
»Würdest du tun, was ich getan habe, Frank? Sag die Wahrheit.«
»Ich fürchte, die Sache mit der unbegrenzten Dauer ist für mich noch nicht
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