Sportreporter
aufbäumende blaue Fohlen, ein glänzendes Abziehbild, vor all diesen Jahren auf das knotige Glas aufgebracht. »Irre Gläser.« Er lächelt erstaunt. Diese Seite von mir kann Walter absolut nicht ergründen, aber im Grunde genommen will er das auch gar nicht. Tatsächlich hat er nicht das geringste Interesse an mir. Vielleicht ahnt er sogar, daß es umgekehrt genauso ist, daß ich schlicht Samariterdienste verrichte, so wie ich das für jeden (vorzugsweise für eine Frau) tun würde, bei dem ich nicht das Gefühl habe, er könnte mich umbringen. Trotz allem dringen einige Grundzüge meines Wesens immer wieder in seinen Gedankengang ein. Meine Colts-Gläser zum Beispiel. Bei sich zu Hause hat er Bleikristall aus Waterford, lachsrot eingefaßte Kristallgläser und silberne Becher – es sei denn, Yolanda hat alles bekommen, was ich aber bezweifle: Dazu ist Walter zu gerissen.
» Salud «, sagt Walter in ängstlichem Ton.
»Zum Wohl, Walter.«
Er stellt sein Glas sofort wieder ab und trommelt mit den Fingern auf der Sessellehne; sein Blick bohrt sich regelrecht in mich.
»Er ist einfach ein Mann, Frank.« Walter schnieft und schüttelt einmal heftig den Kopf. »Ein Anlageberater, der sich die Hacken abläuft wie ich. Zwei Kinder. Frau namens Priscilla, oben in Neufundland.«
»Was zum Teufel tun die so weit da oben?«
»Es ist New Jersey, Frank. Neufundland in New Jersey. Ein kleiner Ort im Passaic County.« Ein Ort, in dem ich mit X öfter mal am Sonntag gewesen bin, um in der rustikalen Gaststätte dort zu essen. Ein perfektes, idyllisches Stück Amerika in New Jerseys wasserreichem Norden, eine Stunde von Gotham. »Ich weiß nicht, was man über ihn und mich sagen soll«, meint Walter.
»Nichts könnte schon genügen.«
»Der Mann ist in Ordnung, will ich damit sagen, ja?« Walter legt die gefalteten Hände in den Schoß und sieht mich leicht gekränkt an. »Ich war in seiner Firma, um ein paar Zertifikate für einen Kunden einzutauschen, und irgendwie sind wir miteinander ins Gespräch gekommen. Er ist hinter den gleichen, nicht mit Zusatzkosten belasteten Wertpapieren her wie ich. Und du weißt ja, wie beim Fachsimpeln die Zeit vergeht. Ich war schon spät dran, und so gingen wir runter ins Funicular , um bei einem Drink zu warten, bis der Verkehr abflaut. Und wir kamen vom Hundertsten ins Tausendste. Wirklich, wir redeten über alles, von petrochemischen Produkten in der kunststoffverarbeitenden Industrie bis zum Footballprogramm an kleinen Colleges. Er hat Dickinson absolviert, wie sich herausstellt. Aber eh ich mich versah, war’s halb zehn, und wir hatten uns drei Stunden unterhalten!« Walter reibt sich mit den Händen über das schmale, attraktive Gesicht, fährt mit den Fingerspitzen unter die Brille und reibt sich die Augenhöhlen aus.
»Das ist doch nichts Besonderes, Walter. Ihr hättet euch die Hand geben und nach Hause gehen können. Das tun wir beide doch auch. Die meisten Leute machen’s so.« (Und sollten es so machen!)
»Sicher, Frank, ich weiß.« Er rückt die Schildpattbrille wieder zurecht und nimmt dazu die Finger beider Hände. Mir bleibt nichts zu sagen. Walter scheint in einer Art Trance, und wenn ich ihn da raushole, fürchte ich, wird alles noch konfuser und geht hier ewig so weiter. Wenn ich ein bißchen Glück habe, ist es bald ausgestanden, und ich kann ins Bett. »Willst du’s hören, Frank?«
»Ich will nichts hören, was mich in Verlegenheit bringt, Walter. Was irgendwie peinlich sein könnte. Dazu kenne ich dich nicht gut genug.«
»Das ist nicht peinlich. Keine Spur.« Walter dreht sich vehement zur Seite und greift nach seinem Glas. Er sieht mich erwartungsvoll an.
»Da drüben.« Ich zeige auf die Ginflasche.
Walter steht auf, um sich einzuschenken, läßt sich wieder in den Sessel fallen und trinkt leer. »Verlöten« nannten wir das als Studenten in Michigan. Walter verlötete seinen Drink. Tatsächlich geht mir durch den Kopf, daß ich jetzt in Michigan sein könnte, daß Vicki und ich vielleicht nach Ann Arbor rausgefahren wären, zu einem späten Abendessen im Pretzel Bell . Ein Hüftsteak mit scharfem Senf, dazu Rotkohl. Ich habe beim Abwägen einen Fehler gemacht. »Weißt du, wer Ida Simms ist, Frank?« Walter sieht mich kühl überlegend an, die Unterlippe fest an die obere gedrückt. Er will zu verstehen geben, daß er mit eiskalter Logik vorgeht – was jetzt noch kommt, wird nur noch mit felsenfesten, beweisbaren Fakten zu tun haben. Schwärmerische
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