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Sportreporter

Sportreporter

Titel: Sportreporter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ford
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hatte. Aber es hatte alles nur mit mir zu tun und war nur für mich bedeutsam (die Liebe ist übertragbar; der Ort ist wirklich nicht alles). Aber mir lag nichts daran, irgend etwas davon auf ein Fünfzig-Minuten-Format zu reduzieren, auf Worte und eine Stimme, die für jeden Achtzehnjährigen bestens zu verstehen war. Das ist gefährlich wie eine Schlange und birgt das Risiko, daß du Studenten – die ich noch nicht mal mochte – entmutigst und verwirrst, kritischer noch: daß du dich selbst , deine Emotionen, dein eigenes Wertesystem – dein Leben – auf ein interessantes Unterrichtsthema reduzierst. Offensichtlich hat das eine Menge mit dem »Ausschauhalten« zu tun, das mich damals fest im Griff hatte, dem ich aber zu entkommen suchte. Wenn du nicht Ausschau hältst, wirst du wahrscheinlich mit deiner eigenen Stimme sprechen und die Wahrheit so sagen, wie du sie kennst, und nicht nach dem Beifall des Publikums schielen. Wenn du dagegen Ausschau hältst, bist du mehr oder weniger bereit, alles von dir zu geben – die finsterste Lüge oder die albernste Dummheit, die sich ein Mensch vorstellen kann –, solange du nur glaubst, jemanden damit glücklich zu machen. Lehrer, das sei hier gesagt, sind für das Ausschauhalten höchst anfällig und können es bis zur denkbar schlimmsten Konsequenz treiben.
    Ich konnte Anekdoten aus dem Sport abspulen, Geschichten aus dem Marine-Corps, Streiche aus meiner Studentenzeit; ich konnte zum Nutzen aller hin und wieder ein leichtes Williams-Gedicht auseinandernehmen, einen Witz auf lateinisch erzählen, wie ein Dichter mit den Armen fuchteln, um Begeisterung zu demonstrieren. Aber das diente alles nur dazu, fünfzig Minuten zu überstehen. Wenn es ans Unterrichten ging, schien die Literatur ein weites Feld, nicht durchschaubar und schon gar nicht destillierbar, und ich wußte nicht, wo anfangen. Meistens stand ich, zerstreut wie ein Kamel, vor den hohen Fenstern, während einer meiner Studenten über eine interessante Short Story sprach, die er aus eigener Initiative gefunden hatte, und ich blickte nachdenklich hinaus auf die sterbenden Ulmen und das grüne Gras und die Straße nach Boston und fragte mich, wie das alles wohl vor hundert Jahren ausgesehen haben mochte, bevor die neue Bibliothek und das Klubhaus der Studenten gebaut waren und bevor sie die Doppeldecker-Skulptur auf den Rasen gestellt hatten, um das Zeitalter des Fliegens zu verherrlichen. Bevor, mit anderen Worten, eine übergeschnappte Moderne alles ruiniert hatte.
    Die Kollegen in meiner Abteilung hätten, weiß Gott, nicht netter sein können. Nach ihrer Vorstellung war ich ein »reifer Schriftsteller«, der nach einem »vielversprechenden Auftakt« und einer sich anschließenden unergiebigen Periode, in der er »anderen Interessen nachging«, neuerdings versuchte, wieder auf die Beine zu kommen, und sie waren bereit, sich für mich einzusetzen. Um es ihnen allen leichter zu machen, behauptete ich, ich bereitete eine neue Anthologie mit Geschichten vor, die auf meinen Erfahrungen als Sportreporter beruhten, aber in Wahrheit verflüchtigte sich jeder Gedanke an ein solches Unternehmen blitzschnell, sobald ich den Campus betrat. Ich sah ein Exemplar meines Buches in einem Dutzend verschiedener Häuser bei einem Dutzend verschiedener Abendgesellschaften (immer dasselbe bibliothekseigene Exemplar, das vor mir her die Runde machte). Und obwohl es nie ausgesprochen wurde, gab man mir doch zu verstehen, daß das Buch von maßgebenden Leuten sorgfältig gelesen und im kleinen Kreis bewundernd kommentiert worden sei. An einem frischen Oktoberabend im Haus eines Dickens-Spezialisten nahm ich es unauffällig vom Couchtisch, warf es in das knisternde herbstliche Kaminfeuer und sah zu, wie es verbrannte (mit der gleichen Genugtuung, die X empfunden haben muß, als der Rauch von ihrer Aussteuertruhe aus unserem Schornstein quoll), setzte mich dann an den Tisch, aß Hühnchen à la Kiew und genoß es, in einem pseudobritischen Akzent über Personalpolitik am College und Antisemitismus bei T. S. Eliot zu reden. Am späten Abend landete ich dann mit Selma, die auch unter den Gästen gewesen war, in einer Kneipe an der Bahnlinie nach New York, diskutierte mit etlichen Recht-auf-Arbeit-Konservativen über die Tugenden der amerikanischen Arbeiterbewegung und die wechselvolle Karriere Emil Mazeys und verbrachte den Rest der Nacht in einem Motel.
    Meine Kollegen, das muß ich sagen, waren alle brennend am Sportgeschehen, vor

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