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Sportreporter

Sportreporter

Titel: Sportreporter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ford
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Jahrgangstreffen in College Station. Wir hatten uns wohl sechsundzwanzig Jahre nicht mehr gesehen. Und wie es der Zufall will, war er bei der Mautbehörde angestellt. Und wir plapperten einfach so drauflos. Ich erzählte ihm, daß Esther gestorben war und so weiter und so fort, Kinder, Frauen, Tränen und daß ich aus Dallas raus müßte. Ich wußte es bis zu dem Moment selbst nicht, verstehen Sie? Sie wissen bestimmt, wie das ist. Sie sind der Schriftsteller.«
    »Ganz gut, glaube ich.« (Wenigstens landeten er und Buck nicht in einem Motel.)
    »Es ist ziemlich schwer, genau zu sagen, welche Absichten man hat, nicht wahr?« Wade schaffte ein armseliges Lächeln.
    »In Büchern ist es sehr viel leichter, so viel weiß ich.«
    »Da haben Sie verdammt recht. Wir haben während des Studiums einige Bücher gelesen. Nicht sehr viele, fürchte ich.« Jetzt können wir beide zusammen grinsen. »Wo haben Sie studiert, Frank?«
    »Michigan.«
    »East Lansing, stimmt’s?«
    »Ann Arbor.«
    »Na ja, da haben Sie mehr Bücher gelesen als ich in College Station, das ist mir klar.«
    »Also, wenn ich mich hier so umsehe, habe ich das Gefühl, Sie haben die richtigen Entscheidungen getroffen, Wade.«
    »Frank, ich glaube schon.« Mit dem Zeh scharrt Wade an einer Unebenheit im Betonboden. Auch als er einigen Druck ausübt, gibt der kleine Höcker nicht nach, und Wade schüttelt den Kopf. »Es gibt hundert Möglichkeiten, wie sich ein Leben verändern kann.«
    »Ich weiß, Wade.«
    »Ich hab einen Job bei der Mautbehörde angenommen. Cade hab ich bei Esthers Familie in Irving gelassen und bin hier raufgekommen und hab ein Jahr lang wie ein Junggeselle gelebt. Ich wollte von meinem anderen Leben so weit weg, wie ich nur konnte. Aus dem Ingenieur in Texas wurde innerhalb einer Woche ein Mautner in New Jersey. Mit einiger Hilfe natürlich. Es war ein Abstieg. Mit starken finanziellen Einbußen. Aber es störte mich nicht, ich war ein völliges Wrack. Man will nicht wahrhaben, daß man ein völliges Wrack ist, aber es ist nun mal so, und ich mußte wieder von vorn anfangen, mich in einer neuen Umgebung zurechtfinden, einer so verrückten Umgebung wie der hiesigen, aber es spielte keine Rolle. Ich bin von Haus aus ein Problemlöser, Frank. Das sind Ingenieure immer. Und das war mein Problem. Wenn Sie mich fragen, reagieren Amerikaner zu empfindlich, wenn sie an Status verlieren. Es ist gar nicht so schlimm.«
    »Aber es hört sich nicht gerade an, als ob es leicht wäre. Gemessen daran, scheinen meine Probleme harmlos.«
    »Ich kann Ihnen nicht sagen, ob es leicht war oder nicht.« Seine Stirn umwölkt sich, als wolle er, er könne auch dazu etwas sagen, nur ist es für ihn außer Reichweite – eine Gnade. »Ich will Ihnen was erzählen. Es gibt da einen Typ, der arbeitet auch bei uns an der Ausfahrt 9. Ich will jetzt nicht seinen Namen nennen. Aber damals, 1959, lebte er im Westen draußen, in der Nähe von Yellowstone. Er hatte Frau und drei Kinder, ein Haus und eine Hypothek. Einen Job, ein Leben. Eines Abends war er in einer Kneipe gewesen und machte sich auf den Heimweg. Und unmittelbar nach seinem Weggehen geriet der ganze Berghang ins Rutschen und deckte die Kneipe zu. Er hielt mitten auf der Landstraße an, so erzählte er mir, und im Mondlicht konnte er zu der Stelle zurückblicken, wo eben noch viele Lichter gewesen waren und wo jetzt nichts mehr war, weil der Erdrutsch alles unter sich begraben hatte. Außer ihm waren dort alle ums Leben gekommen. Und wissen Sie, was er tat?« Wade zieht die Augenbrauen hoch und verdreht die Augen.
    »Ich kann es mir ganz gut vorstellen.« (Wer würde in einer modernen Welt anders handeln?)
    »Sie haben es erraten. Er stieg in seinen Wagen und fuhr nach Osten. Es war – so erzählte er –, als habe jemand zu ihm gesagt: ›Hier, Nick, hier hast du dein ganzes Leben, du bekommst es zurück. Sieh zu, daß du diesmal mehr daraus machst.‹ Und draußen in Idaho oder Wyoming oder in einem dieser Staaten gilt er heute als tot: die Versicherung hat bezahlt. Wer weiß, wo seine Familie ist? Seine Kinder? Und er arbeitet direkt neben mir an der Mautstraße, so glücklich, wie ein Mensch nur sein kann. Ich würde ihn natürlich nie verraten. Und ich hatte viel mehr Glück als er. Wir bekamen beide schlicht ein neues Leben serviert und dazu den festen Willen, etwas daraus zu machen.« Wade sieht mich ernst an, streicht mit den Handflächen feinfühlig über den verchromten Türgriff neben ihm. Er

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