Sportreporter
sie mir hätte vorstellen können, von einer kühlen, noch nach Regen duftenden Reinheit, ein Abend wie geschaffen, über alle menschlichen Sorgen hinwegzutrösten. Über dem Wasser schlugen Flaggleinen bimmelnd gegen metallene Masten im Dunkel, einsame, klagende Laute. Beleuchtete große Wohnhäuser überragten das gegenüberliegende Flußufer.
»Beantworte mir eine Frage.« Walter holte tief Luft und stieß sie wieder aus. Zwei junge Schwarze warteten mit ihrem Angelzeug und Köder im Plastikeimer auf der Gangway der ›Mantoloking Belle‹, bereit zu einer nächtlichen Ausfahrt. Ben Mouzakis stand in seinem Ruderhaus und blickte im Dunkeln auf sie herunter.
»Wenn ich kann«, sagte ich.
Wie es aussah, fühlte sich Walter unwillkürlich besser.
»Warum hast du mit dem Schreiben aufgehört?«
»Ach, das ist eine lange Geschichte, Walter.« Ich fuhr mit den Händen in die Hosentasche und ließ ihn auf dem Weg zu meinem Auto ein paar Schritte zurück.
»Sicher, klar. Es sind alles lange Geschichten, nicht wahr?«
»Ich erzähl’s dir gelegentlich, Walter, schließlich sind wir Freunde. Es muß ja nicht gleich sein.«
»Das wäre schön, Frank, das würde mir wirklich gefallen. Wir trinken einen zusammen, und ich hör dir zu. Wir haben alle unsere Geschichten, was?«
»Meine ist ziemlich einfach.«
»Um so besser. Ich mag einfache Geschichten.«
»Mach’s gut, Walter. Morgen wirst du dich schon besser fühlen.«
»Mach’s besser, Frank.«
Walter ging hinüber zu seinem eigenen Wagen am anderen Ende des Schotterplatzes, doch nach zwanzig Metern rannte er aus irgendwelchen Gründen plötzlich los und rannte, bis ich ihn nicht mehr sehen konnte; als letztes verloren sich seine weißen Shorts und seine dünnen Beine in der Nacht.
Jersey döste in einer sanften Frühjahrsschläfrigkeit. Die ganze Küste entlang bis hinunter nach Tom’s River war von schmachtenden DJs zu hören, daß es nach acht Uhr war. Von Bangor bis Cape Canaveral leerten sich die nächtlichen Straßen, und ich hatte kein Glück mehr bei Vicki, obwohl ich versuchte, Zeit hereinzuholen.
In Freehold hielt ich kurz an, einfach so, um sie in ihrer Wohnung anzurufen, aber sie ging nicht ans Telefon; wenn sie sich schlafen legte, zog sie den Stecker heraus. Ich wählte die Privatnummer der Krankenschwestern in der Klinik – eine Nummer, die ich gar nicht wissen durfte, denn sie ist für Anrufe der engsten Angehörigen in Notfällen gedacht; die normale Kliniknummer, nur statt der letzten Ziffer eine Null. Eine Frau nahm ab und sagte mit Bestürzung in der Stimme, nach ihrem Dienstplan sei Miss Arcenault nicht im Haus. Ob es ein Notfall sei? Nein. Danke, sagte ich.
Aus irgendeinem Grund rief ich meine eigene Nummer an. Der automatische Anrufbeantworter klickte und meldete sich mit meiner Stimme, so munter, daß ich es kaum ertragen konnte. Ich rief ab, was an Nachrichten da war, und hörte X’ Stimme, die mir geschäftsmäßig-routiniert mitteilte, daß sie mich am frühen Morgen treffen werde. Ich legte auf, bevor sie zu Ende geredet hatte.
Eines Tages, als unser Basset, Mr. Toby, von einem Autofahrer, der sich nicht einmal die Mühe machte anzuhalten, zu Tode gefahren wurde – direkt auf der Hoving Road –, sagte X unter Tränen, sie wünsche sich nur, die Zeit ließe sich zurückdrehen. Kostbare Sekunden und Taten müßten zurückzuholen sein: zu einem besseren zweiten Versuch. Und ich dachte, während ich hinter den Forsythien entlang dem Friedhofszaun ein Grab aushob, daß es einer Frau ähnlich sah, sich so hoffnungslos extravagant über eine schlichte Tatsache zu grämen. Reife zeigte nach meinem Verständnis jemand, der erkannte, was im Leben schlecht oder eigentümlich war, der einräumte, daß es so zu bleiben hat, und sich auf das Beste konzentrierte, was das Leben zu bieten hat. Nur daß ich mich jetzt genau danach sehnte! Eine kostbare Stunde, die mir zurückgegeben würde; daß ein Teil der traurigen Enthüllungen Walters bis zu einem späteren Zeitpunkt zurückgehalten würde – kaum das Beste, was das Leben zu bieten hat.
Was ist der reellste Maßstab einer Freundschaft?
Ich behaupte: das Quantum an kostbarer Zeit, die du mit den mißlichen und schlimmen Geschichten des anderen vergeudest.
Und die Folge war, daß ich auf meiner rasenden Fahrt durch die nächtliche Jersey-Landschaft und am nüchternen Hightstown vorbei, übellaunig wie ein Kantinenkoch, plötzlich von den bösen Geistern heimgesucht wurde, die sich in
Weitere Kostenlose Bücher