Sportreporter
Schild mit der Aufschrift Guter Rat aus Ihrer Hand und hielt einfach an. Wahrscheinlich war ich im Laufe der Jahre schon zweihundertmal daran vorbeigefahren und hatte es nie bemerkt. Ich kann mich nicht erinnern, ob ich mich irgendwie daneben fühlte, aber man kann sich an solche Dinge nicht immer erinnern. Ich glaube allerdings, wenn es Zeit für dich wird, zur Handleserin zu gehen und dir einen Rat geben zu lassen, dann weißt du das auch, es sei denn, du stehst mit deinen besten Instinkten regelrecht auf Kriegsfuß.
Einen Moment lang blieb ich in der Garageneinfahrt stehen. Ich machte die Scheinwerfer aus, saß eine Weile da und beobachtete die Fenster, denn Mrs. Miller, ihr Haus, ihre Praxis, ihre Verwandten und ihr Leben bildeten alle zusammen eine kleine, aber wahre Quelle der Freude und Verwunderung. Es war für mich ein nicht weniger bedeutsamer Grund, sie einmal in der Woche zu besuchen, und deshalb war es für mich gestern abend Befriedigung genug, einfach dort zu sein.
Tatsächlich besteht Mrs. Millers Rat fast immer aus irgendeinem gängigen Spruch und ist oft völlig verkehrt: »Ich sehe, daß Sie in naher Zukunft zu sehr viel Geld kommen werden« – nicht wahr. »Ich sehe ein langes Leben« – nicht wahrscheinlich, aber warum sollte ich widersprechen. »Sie sind im Grunde Ihres Herzens ein guter Mensch« – ungewiß. Und sie gibt mir fast jede Woche den gleichen oder annähernd gleichen Rat, mit kleinen Korrekturen, die meistens mit dem Wetter zu tun haben: »Ihre Lage wird sich aufhellen« – an Regentagen. »Ihre Zukunft ist nicht ganz klar« – bei bewölktem Himmel. Es gibt sogar Tage, an denen sie mich nicht erkennt und mich verdutzt anschaut, wenn ich zu ihr komme. Am Ende kichert sie dann immer wie ein Schulmädchen und sagt (ohne mich je beim Namen zu nennen): »Bis zum nächsten Mal«, und gibt mir dazu immer mal wieder ihre Karte, auf der unten, unter dem reliefartigen Sinnbild der Kristallkugel, zu lesen ist: BRINGEN SIE IHRE FREUNDE MIT, OHNE IN VERLEGENHEIT ZU GERATEN – ICH BIN KEINE ZIGEUNERIN .
Ich gerate durch meine Besuche jedenfalls nicht in Verlegenheit, das steht fest. Denn für fünf Dollar führt sie dich durch ihr stabiles Häuschen nach hinten in ein nur schwach erleuchtetes Schlafzimmer, wo ein Vorhang aus falschem Brokat vor dem Fenster hängt. (Beim ersten Mal fragte ich mich, ob dort nicht vielleicht eine kleine levantinische Cousine oder Schwester warten würde. Aber nein.) Das Licht ist grünlichgelb, und aus dem winzigen Radio dringt sanft-geschmeidige, griechisch klingende Flötenmusik. Auf dem Kartentisch steht tatsächlich eine wolkige Kristallkugel, die sie nie benutzt, daneben mehrere Stapel übergroßer Tarock-Karten. Sobald wir auf unseren Plätzen sind, nimmt sie meine Hand, fährt die feinen Linien nach, runzelt die Stirn, als offenbare meine Hand schwerwiegende Fakten, blickt mich verwirrt oder erleichtert an und sagt schließlich hoffnungsvolle, tiefsinnige Dinge, die mir sonst kein Fremder jemals sagen würde.
Sie ist die Unbekannte, die dein Leben ernst nimmt , die Persönlichkeit, die wir – Tag für Tag aufs neue – kennenzulernen hoffen, Freund und Freundin für die allermeisten von uns, die wir kaum größere Konflikte haben, die wir nicht von irgend etwas kaputtgemacht und im strengen Wortsinn nicht »krank« sind.
Sie selbst ist eine gutaussehende dunkelhäutige Frau in den Dreißigern oder Vierzigern, etwas übergewichtig und von einer leicht herablassenden Art, aber im Grunde ihres Herzens überaus liebenswürdig – so sehr, daß sie am Ende unserer Sitzung fast immer auf ein, zwei weitere Fragen eingeht, als Bonus gewissermaßen. Ich schreibe mir diese Fragen während der Woche auf irgendwelche Zettel, doch da ich die fast regelmäßig wieder verliere, stelle ich ihr am Ende einfach sachlich-grundlegende Fragen wie: »Werden Paul und Clarissa diese Woche unbeschadet überstehen?« Für jedermann und besonders für mich eine ewige Sorge. Ihre Antworten tendieren, wenn es um mein Glück geht, immer zum Positiven, enthalten aber eine Warnung, wenn es um meine Kinder geht. »Sie werden keinen Schaden nehmen, wenn Sie ihnen ein guter Vater sind.« (Ich habe ihr vor langer Zeit einmal von Ralph erzählt.) Einmal fiel mir in der Eile keine gute Frage ein, und da wollte ich einfach von ihr wissen, ob es die Tigers in der Ostgruppe der American League noch schaffen würden, mit dem Tabellenführer gleichzuziehen und ein Entscheidungsspiel mit
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