Sprache, Kommunikation und soziale Entwicklung
benutzten 50% der Kinder mit Angelman-Syndrom Handzeichen, 25% Bildkarten und 15% eine elektronische Kommunikationshilfe zur Verständigung.
Schlussfolgerungen für die Praxis
Störungen der Kommunikation und Sprache bei Kindern mit genetischen Syndromen können offenbar unterschiedliche Zusammenhänge haben (Abb. 1). Sie können – wie bei Kindern mit Down-Syndrom – auf limitierte phonologische Speicher- und sprachbezogene Gedächtnisfähigkeiten zurückzuführen sein, die für den Spracherwerb relevant sind. Bei anderen Syndromen – wie bei Jungen mit Fragilem-X-Syndrom oder Kindern mit Cornelia-de-Lange-Syndrom – sind es eher non-linguistische Prozesse der affektiven Selbstregulation, die die soziale Beteiligung an Gesprächen erschweren und – als Teilkomponente von exekutiven Dysfunktionen – zu einer sehr geringen Initiative zur Kommunikation oder zu Sprachauffälligkeiten wie Perseverationen oder Echolalien führen. Spezifische Motivationslagen wie ein ausgeprägtes Bedürfnis nachsozialem Kontakt bei eingeschränkten Sprachverarbeitungsfähigkeiten – z. B. bei Kindern mit Williams-Beuren-Syndrom – können das Bild der kommunikativen Auffälligkeiten zusätzlich prägen. Gemeinsam ist Kindern mit geistiger Behinderung – und wohl nicht syndromspezifisch –, dass die Etablierung gemeinsamer Aufmerksamkeit in der frühen Dialogabstimmung erschwert ist. Sie sind daher in besonderer Weise auf ein responsives Interaktionsverhalten der Eltern angewiesen, die ihre Beiträge zum Dialog auf die kindlichen Initiativen abstimmen.
Abbildung 1: Zusammenhänge syndromspezifischer Sprachentwicklungsverläufe
Für die Planung von Sprachförderung und Sprachtherapie ergibt sich aus der Heterogenität der neuropsychologischen Fähigkeitsprofile und Verhaltensdispositionen bei Kindern mit unterschiedlichen genetischen Syndromen die Aufgabe, die Diagnostik umfassend anzulegen. Es gilt, sich im Einzelfall ein differenziertes Profil der kognitiven Teilfunktionen mit Auswirkungen auf die Sprachverarbeitung, der einzelnen Kompetenzbereiche der Sprache sowie der Verhaltensmerkmale zu machen, um möglichst genau zu beschreiben, wie ein Kind sprachliche Informationen zu verarbeiten und sich sprachlich zu beteiligen vermag, und den Förder- und Therapieplan eines Kindes individuell auf seinen Hilfebedarf abzustimmen. Weiterhin ist bei der Förder- und Therapieplanung zu überlegen, wie Probleme der Aufmerksamkeitssteuerung undlimitierte Gedächtnisfunktionen in ihrer Auswirkung auf den Spracherwerbsprozess berücksichtigt werden können. Eine Reduzierung und stärkere Strukturierung des sprachlichen Inputs hilft dem Kind, seine Aufmerksamkeit auf einzelne Elemente des Sprachflusses zu lenken, Objekte in der Umgebung mit ihren Bezeichnungen zu assoziieren und die phonetischen Komponenten eines Wortes zu speichern. Die Fokussierung auf eine kleinere Zahl von Worten, die häufig wiederholt werden, führt zu einer besseren Repräsentation und Speicherung dieser Worte. Das Modellieren von Wörtern in langsamerem Tempo und mit besonderer Betonung kann die Speicherung zusätzlich erleichtern. Eine zusätzliche Vermittlung der Bedeutung durch eine Gebärde oder eine Bildkarte unterstützt das Sprachverstehen. Wenn sprachlicher Input in festen Formaten (z. B. ritualisierten Spielabläufen) oder im Kontext von bestimmten Handlungsschemata angeboten wird, reduziert diese Form der »Vor-Organisation« die Anforderungen an die kindlichen Verarbeitungsfähigkeiten und kompensiert Schwierigkeiten beim Abruf der Wörter. Problemen der affektiven Selbstregulation kann durch eine Anpassung der Lernsituation so ebenfalls entgegengewirkt werden.
Wenn Kinder eine grundlegende Kommunikationsbereitschaft entwickelt haben, im Lautspracherwerb jedoch gravierend beeinträchtigt sind, bei ihnen aber günstigere Voraussetzungen für die Verarbeitung von visuellen Informationen und visuell gestützte Lernprozesse bestehen, ist eine frühe Anbahnung von Formen der Unterstützten Kommunikation dringend indiziert. Sie kann nicht nur als Unterstützung des Spracherwerbs wirken, sondern auch der Entwicklung von schweren Verhaltensstörungen vorbeugen, die sich infolge von Fehlschlägen der Kommunikation im sozialen Alltag verfestigen können. Sprachtherapeuten, Logopäden und Sonderpädagogen haben in den letzten Jahren vielfältige Erfahrungen im Aufbau von Gebärden (z. B. »Gebärdenunterstützte Kommunikation« für Kinder mit Down-Syndrom) und
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