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Sprechen wir über Musik: Eine kleine Klassik-Kunde (German Edition)

Sprechen wir über Musik: Eine kleine Klassik-Kunde (German Edition)

Titel: Sprechen wir über Musik: Eine kleine Klassik-Kunde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Kaiser
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Kammersänger, die in der Rolle des jugendlichen Liebhabers eine komische Figur abgeben. Da heißt es dann: Augen zu und durch.

Der Preis ist heiß
    Warum werden von Orchestern und
Plattenfirmen meist nur Pianisten engagiert,
die bereits international bedeutende Aus-
zeichnungen gewonnen haben?
     
    Die Inflation internationaler Musikwettbewerbe hat dazu geführt, dass auch blasse Pianisten inzwischen mit lauter Preisen aufwarten können. Sie sind unverbindlich, fast beliebig geworden. Gleichwohl schadet es der Karriere eines Künstlers, wenn er keine medienwirksamen Auszeichnungen vorweisen kann. Eine Jury, die einen ersten Preis zu vergeben hat oder darüber befindet, wer in den erlauchten Kreis einer Akademie aufgenommen werden soll, einigt sich gerne auf einen Kompromisskandidaten, auf jemanden ohne Ecken und Kanten. Stehen eine bedeutende, betörende Pianistin und ein wilder, exzentrischer Geiger zur Wahl, dann wird die Jury sich eher für den fabelhaften, fehlerfreien, wenn auch farblosen Perfektionisten entscheiden, also für den Mittelweg.
    Hat nicht Arnold Schönberg einmal festgestellt, der Mittelweg sei der einzige, der nicht nach Rom führt? Er hielt den Mittelweg für gefährlich, und er tat dies, ganz deutscher Expressionist, aus gutem Grund. Jedenfalls besteht bei so einem Selektionsverfahren tatsächlich zunehmend die Gefahr, dass nur noch jene Musiker von einem Orchester oder einer Plattenfirma engagiert werden, die dem Standard
der Branche genügen, und dass individuelle Spielart und Virtuosität auf der Strecke bleiben.
     
    Das Leben als Juror ist eine heikle Mission, und außerdem anstrengend. Ich spreche aus Erfahrung. Als Mitglied einer Jury muss man stunden-, manchmal auch tagelang intensiv zuhören, es geht schließlich um Leben und Tod. Man darf nicht eine Minute unkonzentriert sein, das wäre gegenüber den Kandidaten sehr ungerecht. Ich traf einmal den Flötisten Aurele Nicolet, eigentlich ein lustiger Kerl. Er machte einen verstörten Eindruck, ich fragte, was ihm fehle. Er komme gerade aus einer Jury, sagte er, vor der alle 140 Kandidaten das Flötenkonzert von Jacques Ibert vorspielen mussten. Er habe sich also 140 Mal das gleiche Stück anhören müssen. Das erfordere, meinte Nicolet, übermenschliche Kräfte. Spätestens nach dem hundertsten Mal habe er nicht mehr gewusst, ob er noch etwas konkret gehört hat oder ob wirre Höreindrücke aus den hundert vorangegangenen Ibert-Konzerten in seinem Kopf herumgespukt hätten.
    Ja, Wettbewerbe können grausam sein. Da hat jemand jahrelang geübt, und dann erfährt er in 20 oder 40 Minuten, dass er leider nicht gut genug sei und durchfallen muss. Ein junger Musiker kann aber auch, und das ist die andere Seite solcher Klassik-Contests, in kurzer Zeit weltberühmt werden. Genies wie Friedrich Gulda oder Anne-Sophie Mutter haben sich bereits blutjung bei Wettbewerben durchgesetzt.
     
    Mein Fazit nach unzähligen Jurysitzungen lautet: Wer in die Runde der sechs Besten gelangt, an dessen Qualität braucht man kaum mehr zu zweifeln. Dass generell das Ansehen der Preisverleihungen schwindet, hängt mit ihren Abnutzungserscheinungen zusammen. Überall werden Preise ausgeschrieben. Damit machen sich vor allem die Veranstalter wichtig. Sie setzen einen Preis aus, oft kümmerlich dotiert, um in die Schlagzeilen zu kommen. Das finde ich ärgerlich. Mein Vorschlag zur Güte: Wer einen öffentlichen Preis auslobt, sollte mindestens 50000 Euro an den Gewinner auszahlen müssen. Eine hohe Dotierung würde – man denke nur an den Nobelpreis – die Qualität enorm steigern. Und die Anzahl der Preise reduzieren.

Die Pointe in Takt 138
    Wieso spielte Vladimir Horowitz immer
wieder dieselbe Chopin-Ballade, wo es doch
so wunderbare Alternativen gegeben hätte?
     
    Es war Frederic Chopin, der im 19. Jahrhundert die Klavierballade erfunden und der Welt geschenkt hat. Diese Form gab es vor ihm nicht, obwohl die Ballade selbst schon seit dem späten Mittelalter existierte, in der Literatur und in Volkstänzen.
    Seine erste Ballade, op. 23 in g-Moll, schrieb der polnische Komponist im Jahre 1835, die vierte und letzte Ballade in f-Moll verfasste er sieben Jahre später, also 1842. Dazwischen die F-Dur- und die As-Dur-Ballade. Das Thema der ersten Ballade scheint mir, was die Einfälle betrifft, seine stärkste und vitalste Balladenkomposition zu sein. Eigentlich sind es zwei Themen, die sich aneinander abarbeiten, aber nicht wie in einer Sonate quasi

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