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Komische Voegel

Komische Voegel

Titel: Komische Voegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerbrand Bakker
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Der Sohn des Hüttenwirts
    Jetzt weiß ich, wer du bist.
    Einsames Schaf
    das uns von weit oben
    auf dem Bergpfad gehen sah
    unbewegter Späher.
    Abends hinktest du
    deine gelben Augen tränten.
    Und doch warst du edel, dort oben.
    Edel und herzzerreißend schön.
    Betsie, Trudie, Trijnie und Bert
    März 1995
    Am zweiten Tag habe ich ihnen Namen gegeben. Ich saß an dem großen hölzernen Eßtisch in unserem Ferienhauswohnzimmer in De Knipe und arbeitete – oder tat so, als ob. Ich hatte Aussicht über das flache Land. Wenn es nicht regnete oder neblig war, konnte ich in einiger Entfernung Langezwaag erkennen. Aber das Dorf war es nicht, was mich interessierte. Ich sah nur diese drolligen, dicken Wollknäuel, die mal munter, mal schwerfällig über das matschige Land stapften; erst vor ein paar Tagen hatte es getaut. Betsie hinkte. Beidseitig. Wenn sie sich von ihrem Ruheplatz (einem Durcheinander aus Holzabfall und zerbrochenen Asbestwellplatten) auf den Weg zum Silagehaufen machte, dauerte es mindestens zwanzig Wörter (ich war gerade dabei, Kramers Woordenboek zu einem Taschenwörterbuch auszudünnen), bis sie dort ankam. Die anderen fraßen dann schon, und sie versuchte sich zwischen sie zu drängen und zu zwängen, um mit dem Kopf in die Nähe des Futters zu kommen. Wenn sie im Nieselregen vorüberlahmte und der Wind noch stärker wurde, mußte ich mich abwenden. Der Anblick war zu schlimm.
    Sobald die anderen mit Fressen fertig waren, trotteten sie zusammen fort, während Betsie noch lustlos weiterfraß. Ich konnte ihr ansehen, daß es ihr keinen Spaß mehr machte.
    Trudie war ein durstiges Schaf. Sie war die einzige, die ihre Mahlzeit regelmäßig unterbrach, um zu einem Tümpel
zu gehen und zu trinken. Sie trank lange und, wie ich sah, mit gierigen Schlucken. Deshalb habe ich sie Trudie genannt.
    Trijnie war das Oberschaf. Sie hatte den kleinsten und schmalsten Kopf, und trotzdem war sie das Oberschaf. Sie demonstrierte ihre Macht besonders gern, indem sie auf den Silagehaufen kletterte und in dieser erhöhten Position große Happen Futter herauszerrte. Die anderen fanden das anscheinend normal. Sie wunderten sich nicht einmal, wenn Trijnie oben kackte und pinkelte. Es war, als gehöre sie dorthin. Sie und nur sie hatte das Recht, jeden Winter wieder auf der Silage zu stehen. Und stehenzubleiben.
    Am dritten Tag fanden sie einen neuen Silagehaufen vor, mindestens einen Meter hoch. Trijnie kletterte flink auf das frische Futter und bekackte es sofort. Ich strich Wörter und blickte zwischendurch immer wieder auf. Ich wollte nichts verpassen. Um vier Minuten nach elf fiel Trijnie vom Haufen. Sie trat ungeschickt auf, schwankte einen Moment, schien sich noch fangen zu können, kullerte aber schließlich auf Betsie hinunter. Alle waren verblüfft. Zuerst schauten sie einander an, dann schauten alle Trijnie an. Trijnie blökte nicht, meckerte nicht, sondern drehte sich resolut um und stapfte ans andere Ende der Schafkoppel. Ich habe sie nicht mehr am Futterhaufen gesehen. Betsie ging von diesem Tag an noch lahmer als vorher.
    Betsie war auch die einzige, die noch kein rotes Hinterteil hatte. Zu der kleinen neunköpfigen Schafherde gehörte ein Bock. Ein Bock mit Deckstempel unterm Bauch. Er hatte schon alle gehabt. Außer Betsie. Er war nicht nett, das sah ich gleich. Ein grantiges, launisches Schaf und ein Wichtigtuer. Einmal (ich glaube, es war am vierten Tag) ging ich zum Rauchen hinters Haus und von dort zu dem ausgetrockne
ten Graben, der das Grundstück von der Schafkoppel trennte. Der Bock (ich habe ihn Bert genannt, warum, weiß ich nicht genau) drehte sich um, starrte mich an und hörte erst auf zu starren, als ich meine Kippe austrat. Diese Sorte Schaf. Ein Schaf mit einem gewaltigen Dünkel. Deshalb hatte er natürlich Betsie noch nicht gedeckt, es wäre unter seinem Stand gewesen. Ein lahmes Schaf, nein, das deckt man einfach nicht.

    Ganz anders ging es im Haus zu. Wenn ich den Kamin anzünden wollte, sagte V.: »Nein, erst eine Runde trainieren, jetzt sieht uns keiner.« Wenn er den Kamin anzünden wollte, sagte ich: »Bloß nicht, hier drin ist es zum Ersticken.« Wenn er ins Bett ging, blieb ich extra noch eine Weile auf. Wenn ich fünf Knoblauchzehen ins Essen tun wollte, sagte er: »Viel zu wenig, dann schmeckt es ja nach nichts.« Wenn er eine Prise scharfen Curry ins Essen tun wollte, lief ich demonstrativ niesend aus der Küche. Er las populäre Bücher über philosophische Themen und wüste

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