Sprechende Maenner

ein Datingportal. Und dein Kind wird dich traurig anschauen und sagen: »Und das, Dad, ist deine Liebesgeschichte?«
    aw:
    Lieber Maxim, sei mir nicht böse, aber ich schätze, fast alle Dinge, die du nicht kennst und die nicht in deiner Vatiwelt spielen, kommen dir mittlerweile vor wie ein radikales Gesellschaftsprojekt.
    Es geht im Internet um eine ganz schlichte Sache: jemanden kennenlernen. Ich überspringe auch keine Phasen. Ich kann in einem Club eine Frau ansprechen. Später verabreden wir uns. In einem Café oder Restaurant. Dort reden wir dann. Im Internet ist es nicht anders: Ich schreibe jemanden an. Wenn sie möchte, schreibt sie zurück. Dann verabreden wir uns. In einem Café oder Restaurant. Dort reden wir dann.
    Die erste Phase, das Kennenlernen, kann man nicht überspringen. Also das springende Herz und die Götterspeise in den Beinen, die dir so wichtig sind – sie sind mir auch wichtig. Vermutlich sogar wichtiger. Deshalb bin ich ja nicht verheiratet oder lebe in einer Beziehung, so wichtig ist mir das, dass ich es immer wieder erleben möchte.
    Alle googeln sich heute, Maxim. Oder schauen nach, ob es ein Facebook-Profil gibt. Lerne ich eine Frau auf einer Party kennen oder sie mich, dann reden wir, und wenn ich ihren Namen weiß, dann werde ich sie später auch googeln. Schon allein deshalb, um mich noch einmal zu vergewissern, ob sie wirklich so bezaubernd aussah wie in meiner Erinnerung oder ob es am Alkohol lag.
    Warum soll es seltsam sein, eine Frau zu treffen, die mein Profil gelesen hat, wo kaum mehr drinsteht als meine Körpergröße, mein Gewicht, meine Haarfarbe, mein Beruf? Warum soll es seltsam sein, eine Frau zu treffen, die weiß, wie ich heiße, die ein Foto von mir betrachtet hat? Der Zauber des Anfangs besteht ja nicht darin, wie bekannt oder unbekannt jemand ist oder wo und warum man ihn getroffen hat. Die Orte des ersten Treffens, Maxim, sind immer gewöhnlich. Immer austauschbar. Neutraler Boden. Wenn du das ändern willst, buch dir eine Todeszelle, lass dich von Piraten entführen oder lern eine Frau beim Pornodreh kennen. Der Zauber des Anfangs aber besteht allein in der Frage, ob sich ein Zauber einstellt. Das ist das Einzige, was zählt.
    Und der Gründungsmythos, Maxim: Meine Erfahrung ist, dass es meist die Paare sind, die sonst nicht mehr so viel haben, die auf ihren tollen Gründungsmythos verweisen. Wenn mich also meine Tochter, die ich nicht habe, jemals fragen sollte, wie ich ihre Mutter kennengelernt habe, dann werde ich sagen: im Internet. Und dann werde ich die Liebesgeschichte erzählen, die anschließend begann. Ich werde erzählen, wie ich ihre Mutter zum ersten Mal sah. Wie sie sprach, wie sie roch, was sie trug, wie sie lachte. Ob sie verlegen war, ob sie meine Hand nahm oder ich ihre.
    Liebesgeschichten beginnen immer erst später. Jede Liebesgeschichte hat ihren eigenen Anfang, Maxim.

Tag 21
    An dem man einem Mann dabei zusehen kann, wie er eine Internetfrau zum ersten Mal in der Wirklichkeit trifft
    Lieber Jochen, ich stelle mir eine Liebesgeschichte einfach immer so vor, wie ich sie selbst vor 17 Jahren erlebt habe. Was anderes kenne ich nicht. Falls dir meine Fragen also dämlich erscheinen, entschuldige ich mich schon jetzt dafür. Sparst du im Internet eigentlich Zeit? Du sagst, du bist ins Internet gegangen, als du wieder eine deiner Panikattacken hattest. Kann man im Internet schneller jemanden kennenlernen als »draußen«?
    aw:
    Lieber Maxim, es geht nicht um Schnelligkeit. Es geht auch nicht darum, etwas Erfolgversprechendes oder Kluges zu tun. Sondern eher darum, nicht etwas Dummes zu tun. Was tue ich meist, wenn ich einen Anfall habe? Ich rufe eine Freundin an. Keine normale Freundin, sondern eine Freundin, die zur Freundin wurde, nachdem wir fast verliebt waren. Aber dann verliebte ich mich nicht genug oder wollte mich nicht verlieben. Jedenfalls wurde aus der Beziehung nichts. Die Beziehung blieb stecken in der Vorbezie hungsphase.
    Im Laufe der Jahre sind bei mir einige solcher Vorbeziehungsfreundschaften entstanden. Ich weiß, ich klinge ein bisschen nach Arschloch, aber es ist viel komplizierter. Ich mag diese Freundinnen. Sogar sehr. Ich war nur nie verliebt, ich habe es nicht geschafft, aber in den Anfallsmomenten durchzieht mich das Gefühl, dass ich es vielleicht doch schaffen könnte. Dass es einen Weg gibt. Also treffe ich die Frau wieder – und