Sprechende Maenner
den Sozialismus. Sie lassen ohne Wehmut ihr Ich hinter sich und stürzen sich ins Wir. Das erscheint ihnen normal. Logisch. Und genauso normal und logisch erscheint ihnen, dass ein Mann das Gleiche tut.
Ich schätze, hier liegt eines der gröÃten Missverständnisse zwischen den Geschlechtern. Die Frau denkt, sie fordere gar nicht viel. Und der Mann fühlt sich überfordert. Ich habe wirklich nach einem Gegenbeispiel gesucht, aber mir fällt kein Fall ein, wo es umgekehrt war. Wo der Wille, eine Familie zu gründen, beim Mann stärker ausgeprägt war als bei der Frau.
aw:
Verstehe. Aber was hat das alles mit dem Dealen zu tun?
re:
Das Dealen, Jochen, ist eine männliche Technik, das unzulängliche Wir zu verbergen. Um zwischen dem Anspruch seiner Frau und seinen Möglichkeiten als Mann zu vermitteln. Das Wir, lieber Jochen, ist der imaginäre Ort, an dem der Mann lebt, wenn er das Ich über wunden hat. Du musst dir das Wir vorstellen wie eine Autowaschstra Ãe. Vorne fährt der Mann als schmutziges, einsames Ich rein. Und hinten fährt er als sauberes, glückliches Wir wieder raus.
Die WaschstraÃe ist leider sehr lang. Etwa so lang wie ein Männerleben.
aw:
Ich habe beim Lesen gefroren und geweint, Maxim. Vor Angst. Ich möchte nicht in die WaschstraÃe â¦
re:
Doch, das willst du! Du weiÃt es nur noch nicht. Das Wahnsinnige, das absolut irre i-Tüpfelchen, die schlussendliche Wahrheit ist nämlich: Ehemänner finden es ja ganz geil, erzogen zu werden. Liebevoll erzogen. Sie jammern ein bisschen, sie dealen, aber eigentlich macht ihnen nichts gröÃere Angst als die Vorstellung, wieder selbst über sich entscheiden zu müssen. Ehemänner lieben nach einiger Zeit die einfachen, totalitären Strukturen, die festen Abendbrotzeiten und das Taschengeld. Der Mann ist bei Mutti groà geworden. Und er will zurück zu Mutti. Ein frohes Wochenende wünscht Maxim »The Dealer« Leo!
PS : Auf meinem Schreibtisch liegen drei verstaubte Filmkassetten, die ich heute Vormittag nach langer Suche in einem Karton in unserem Abstellraum gefunden habe. Leider habe ich noch keinen Videorekorder, um mir die Kassetten anzuschauen. Aber heute Abend will ich das hinbekommen. Den ersten Film haben wir im Mai 2000 aufgenommen. Eine Woche bevor Anais geboren wurde. Ich erinnere mich, dass wir im Treptower Park im Gras gesessen haben. Die Catherine mit dem dicken Bauch und ich. Ich glaube, wir waren damals in einem besinnungslosen Zustand. Du kennst ja diese fröhlichen Paare, die allen auf die Nerven gehen. Ich werde dir davon erzählen â¦
PPS : Was machst du am Wochenende?
Tag 24
An dem Zugvögel beobachtet werden, zwei Brunchs stattfinden und ein 41 Jahre alter Mann vom Ruhestand träumt
Lieber Maxim, gestern war Sonntag, erinnerst du dich?
Ich schlief bis 8.30 Uhr, las bis 9 Uhr, schaute DVD ( 24 , Staffel sieben) bis 9.50, duschte, machte mir einen Earl-Grey-Tee und fuhr zum Brunch.
Mein Neffe hatte Geburtstag. Deshalb fuhr ich zum Brunch.
Mein Neffe wurde 21, ich mag ihn wirklich gerne, aber wir sehen uns selten, und ich kann mich auch an keinen Geburtstag erinnern, an dem ich eine Rolle gespielt hätte. Ich bin weit weg von diesen Familiendingen. Ich bin der lustige Onkel, der manchmal da ist, aber meistens nicht, und alle scheinen sich daran gewöhnt zu haben, weil es immer so war.
Ich hatte jetzt eine winzige Flasche Whisky in der Jackentasche, 20 Jahre alter Single Malt â 21 Jahre alten gab es leider nicht. An die Flasche hatte ich zwei gerollte Geldscheine gebunden â das war mein Geschenk. Schnaps und Knete.
Ich kam zu spät, aber auch daran haben sich alle längst gewöhnt. Onkel Jochen kommt zu spät, denn Onkel Jochen ist viel unterwegs, und Onkel Jochen schläft morgens lange, weil niemand da ist, der ihn weckt.
Es ist für mich seltsam, in diese Familienwelt zu tauchen. Ich mag meine Familie, wir haben ein gutes Verhältnis, und sie sind mir auch wichtig. Es ist eben nur eine wirklich andere Welt, und ich bin derjenige, der sich einem Transformationsprozess unterzieht, weil ich der Einzige bin in meiner Familie, der nicht in dieser Welt lebt.
Niemand rechnet mehr ernsthaft damit, dass sich die Dinge ändern. Am Anfang fragte mich meine Mutter manchmal, ob ich mich verliebt hätte, aber das ist jetzt auch schon sieben Jahre her, schätze ich, dass sie das fragte. Ich weià nicht,
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