Sprechende Maenner
mir ist die Erwartungshaltung gedimmter. Mir fällt das immer wieder bei Paaren auf, diese kleinen Glücksinszenierungen. Frag ein Paar: Wie war der Urlaub, und du hörst selten »Ganz gut« oder »Wir hatten Spaë. Sondern fast immer: »Es war ganz, ganz toll.« Oder: »Ach, es war traumhaft.« Oder: »So gut haben wir uns noch nie erholt.« So ist es bei vielen Dingen. Der Wein ist immer »unser absoluter Lieblingswein«. Das Haus in Brandenburg »etwas ganz Besonderes«.
Paare sind Verkäufer ihrer selbst, ihres Lebens. So als würde ihr Glück gröÃer, greifbarer, wenn sie anderen davon erzählen. Sie schmücken ihr Leben wie einen Weihnachtsbaum.
Mein Familiensonntag war nett und völlig okay.
aw:
Lieber Jochen, ich mag deinen Vater.
re:
Du kennst ihn doch gar nicht.
aw:
Doch, ein wenig, durch deine Erzählungen. Ich weiÃ, dass er Zugvögel mag.
Und das kann ich gut verstehen. Zugvögel haben etwas Ergreifendes. In der Nähe unseres Wochenendhauses gibt es einen Weiher, dort nisten Graureiher oder Kraniche, oder vielleicht sind es auch Wildenten, so genau kann ich das nicht unterscheiden. Irgendwann im Herbst fliegen sie fort und lassen mich zurück im brandenburgischen Nebel. Kommen sie jetzt zurück, dann beginnt das Leben wieder. Das ist die Ãbersetzung von: Ich habe Zugvögel gesehen.
Ich glaube, der Genuss der Natur hat mit dem Alter zu tun. Man braucht Ruhe und Geduld, um sich auf eine Wiese zu stellen und Rehe zu beobachten. Oder Grashüpfer oder Fischadler. Manchmal stellen wir uns mit den Kindern zusammen im Kreis auf eine Waldlichtung und horchen in die Stille. Die Kinder schaffen das nicht lange und fangen an zu kichern. Ich könnte ewig so dastehen. Ich kann mir vorstellen, mit Catherine zusammen in unserem Wochenendhaus zu leben. In der Zeit, in der auch die Zugvögel da sind. Später, wenn die Kinder uns nicht mehr brauchen. Ich hätte gerne ein paar Schafe, einen Hund und Hühner. Ich könnte zusammen mit Catherine im Garten arbeiten, durch den Wald laufen, am Haus bauen. Diese ganze Unruhe wäre vorbei. Ich könnte einfach nur da sein. Nicht an später denken. Ãberhaupt nicht denken.
Manchmal wünsche ich mir, es wäre schon so weit. Ich habe Sehnsucht danach, mich zur Ruhe zu setzen.
re:
Du willst dich zur Ruhe setzen? Als was? Als Bauer Leo? Als Maulwurf? Als Dorfeiche? Du bist 41, ich meine, du wirkst älter, schon klar. Aber Ruhestand? Hast du einen Knall? Bist du in der Midlife-Crisis? Willst du mal reden?
Ich bitte um Erklärung bezüglich Ruhestandsgedanken.
aw:
Lieber Jochen, ich weiÃ, es klingt seltsam für dich. Für mich ja auch. Aber es gibt eine Stimme in mir, die ruft: »Maxim, warum machst du dir solchen Stress? Setz dich vor dein Haus in den Garten, schau in die Abendsonne!«
Zur Ruhe setzen bedeutet ja nicht, in Rente gehen. Ich stelle mir eher vor, wie ich mich hinsetze, und alles Nervöse, aller Druck, alle Unruhe weichen aus meinem Körper. Ich werde leicht, vielleicht sogar ein bisschen durchsichtig. Wie ein guter, 41 Jahre alter Yogageist.
Es gibt leider auch eine andere Stimme in mir, die mich mahnt, mei nen kleinen Popo zu bewegen. Die Stimme sagt: Itâs time to move, baby!
Ich lebe deshalb in einem Kompromiss zwischen diesen beiden Stimmen. Aber die Ruhestandssehnsucht, die habe ich, das ist so.
Ich frage mich, woher das kommt. Vielleicht aus den Zeitungen und Magazinen. Ãberall wird vor dem Burn-out gewarnt, vor der inneren Auszehrung. Wenn ich Bekannte, Freunde frage, was sie am Wochenende gemacht haben, sagen sie: »Ach, wir haben versucht, mal ein bisschen zur Ruhe zu kommen.« Das bedeutet für die meisten, zu sich selbst zu finden. So als gäbe es tief in uns eine sonnige Blumenwiese, auf der wir uns ausstrecken können. Das nennt man dann »in sich ruhen«. Die Wellnessglücksidee ist tief in mir verankert. Ich bin da auch nicht der Einzige. Gestern, beim Brunch, traf ich meinen Freund Holger. Er macht jetzt mit seiner Frau Paaryoga, sagt er. Holger hat nie Sport gemacht. Und jetzt Paaryoga.
Du, lieber Jochen, bist mit deinem Drang nach Unruhe gerade etwas antizyklisch aufgestellt, wenn ich das so sagen darf.
Mit entspanntem GruÃ, M .
Tag 25
An dem recht unvermittelt die Idee entsteht, dass Entspannung viel gefährlicher ist als Stress
Liebe Dorfeiche, jetzt, wo ich deine entspannten,
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