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Sprechende Maenner

Sprechende Maenner

Titel: Sprechende Maenner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maxim Leo , Jochen-Martin Gutsch
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was passiert, würde ich eines Tages zu meiner Mutter sagen: »Ich bringe Maria mit zum Geburtstag.« Wahrscheinlich würde meine Mutter denken, Maria ist eine Art Kuchen oder ein Wein oder ’ne CD .
    Mein Neffe kennt mich eigentlich nur so. Er war elf, als ich meine letzte Freundin hatte. Ich frage mich manchmal, wie mich meine Nichten und Neffen sehen. Ich hatte als Kind eine Tante, also keine richtige, erbliche, aber ich nannte sie Tante. Eine Frau, die ich mochte, die immer auf Kindergeburtstagen war, eine Freundin meiner Eltern. Diese Tante hatte keinen Mann. Und als Kind dachte ich: traurig. Ich hätte es nicht erklären können, und vermutlich war die Tante auch gar nicht traurig, aber in meiner Erinnerung war sie die traurige Tante, und so nannte ich sie auch: Tante Traurig.
    Bin ich das also jetzt? Onkel Traurig?
    Ich sprach lange mit meinem Vater. Er schwärmte vom Frühling, vom Garten, und wie er vor ein paar Tagen dort stand, den Spaten in der Hand, der Rücken schmerzte, und über ihm flogen die Zugvögel.
    Â»Die Zugvögel, Jochen«, sagte er. Und der Genuss der ganzen Welt schien in diesen Worten zu liegen.
    Ich fuhr zurück, es war ein warmer Tag, abends saß ich auf dem Hausdach und suchte den Himmel nach Zugvögeln ab, warum, weiß ich nicht.
    Â»Die Zugvögel«, hatte mein Vater gesagt.
    Aber ich sah keine.
    aw:
    Lieber Jochen, ich war am Sonntag auch bei einem Familienbrunch.
    re:
    Warum machst du mir alles nach?
    aw:
    ICH bin der Familienvater. Ich bin ständig brunchen. In meinen Kreisen gibt es kaum noch Abendpartys. Nur Brunch. Es wird lieber gegessen als getanzt. Der Brunch ist die Party der mittleren Lebensjahre. Man kommt früh ins Bett, trinkt nicht zu viel, erlebt auch nicht zu viel. Unter Frauen gibt es den traditionellen Kuchen- und Quiche-Contest. Wie oft habe ich den Ausruf gehört: »Esther, die Quiche ist dir aber wieder gelungen! Ein Traum!«
    re:
    Warum gehst du dann überhaupt zum Brunch?
    aw:
    Es war unser Brunch.
    re:
    Oh.
    aw:
    Catherine hatte Geburtstag. Viele Freunde kamen und mit ihnen viele Kinder. Wir saßen an einer langen Tafel, aßen Quiche und Roastbeef und Kuchen und Croissants und tranken Cappuccino und Champagner. Irgendwann wurde mein Kopf weich und schwer. Ich beobachtete die anderen, unsere Freunde, von denen wir viele schon ewig kennen. Mit meinem Champagner-Kaffee-Blick sah ich unser Leben wie in einem Film. Ich sah Catherine mit ihren Freundinnen lachen, denselben Freundinnen, die bei unserer Hochzeit waren, die dabei waren, als wir die Wohnung einweihten, die immer da waren, wenn es etwas zu feiern gab. Ich sah ihre Töchter, die gerade noch Babys waren und die jetzt Brüste bekommen. Ich sah diese Wohnung mit den hohen Decken und dem schönen Stuck und den alten Möbeln und den Bücherregalen, die Catherine und ich mal zusammengebaut haben. (Habe ich dir erzählt, dass ich mit Catherine gut arbeiten kann? So bauen und graben und solche Sachen?) Es war eine satte Stimmung, von allem etwas zu viel. Die anderen sprachen darüber, wie aufregend es sei, dass die Grünen zum ersten Mal eine Landtagswahl gewinnen könnten. Es ging um Atomkraft und Angela Merkel, und eigentlich waren sich alle einig. Es herrschte ein bräsiger, quiche-gefüllter Konsens. Mir fällt es immer schwerer, mich für Politik zu interessieren, gar zu begeistern. Aber das sagte ich nicht. Da müssten wir auch einmal drüber reden, Jochen, wofür wir uns interessieren oder engagieren. Ob es außer uns selbst noch irgendetwas gibt, das uns wichtig ist.
    Später gingen wir im Park spazieren, die Sonne schien, und überall waren Leute, die genauso aussahen wie wir. Das erschreckt mich manchmal, diese individuell Uniformierten. Man denkt, wenigstens ein bisschen besonders zu sein, und dann sieht man die anderen, die exakt dieselbe Illusion haben. Letztendlich gehören wir alle zu diesem lässigen, mittelalten Bürgertum. Und ich weiß noch nicht mal, ob das gut oder schlecht ist.
    PS : Kannst du die Zeit mit deiner Familie eigentlich genießen, obwohl du dieses Fremdgefühl hast?
    re:
    Lieber Maxim, ich verstehe die Frage nicht so richtig. Es war einfach nur ein Sonntag im März mit meiner Familie. Ob ich den Tag genossen habe?
    Ich glaube, du denkst eher in diesen Kategorien. In Genuss und Entspannung und Schönheit und Glück. Das sind für mich etwas fremde Parameter. Bei

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