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Sprechende Maenner

Sprechende Maenner

Titel: Sprechende Maenner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maxim Leo , Jochen-Martin Gutsch
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Kinder in den Stress und bietest ihnen dann aber das Antistressyoga an, statt nach guter alter Tradition zu sagen: Ich schütze dich vor Stress. Vor der Stressentstehung.
    Ich glaube dir auch, dass dein Job anstrengend ist. Aber gehört das nicht auch dazu? Zum Job, zum Leben? Warum gibt es jetzt so eine übertriebene Stressangst, so eine Antistresserwartung dem Leben gegenüber, so als ließe sich alles miteinander verbinden: interessanter, aufregender Job, sehr gut bezahlt – aber mit ganz viel Freizeit und wenig Stress. Tut mir leid: Gibt es nicht.
    Ich möchte das Ausbrennen nicht kleinreden. Das passiert immer öfter. Mir geht es aber um etwas ganz anderes: die Vorstellung, dass das Leben ein Wellnesshotel ist, das ganze Jahr geöffnet. Dass sich alles vermeiden, wegatmen, wegyogaern, wegwellnessen lässt. Dass man für nichts mehr kämpfen muss, sich opfern, durchbeißen – denn das ist ja gleich wieder Stress.
    Diese Bequemlichkeitserwartung dem Leben gegenüber. Die stört mich.
    PS : Das einzige Wellnessangebot, das Männer früher wirklich nutzten, war das Trinken. J.

Tag 26
    An dem klar wird, wie schwer es ist, eine politische Meinung zu haben, sich zu empören oder gar auf eine Demonstration zu gehen
    Lieber Jochen, vielleicht hat diese Wellnesshotelmentalität, wie du es nennst, auch damit zu tun, dass wir nicht mehr so richtig für etwas brennen. Wir sorgen uns nur noch um uns selbst. Oder wofür brennst du, Jochen? Engagierst du dich für etwas?
    aw:
    Lieber Maxim, wir können gerne darüber reden, wofür ich brenne. Das frage ich mich auch öfter. Was da überhaupt brennt. Vor allem dann, wenn alle demonstrieren gehen und ich nicht.
    Ich könnte sagen: Ich brenne für meinen Beruf. Zöge man das Schreiben von einer Persönlichkeit ab, könnte man mir das Schreiben ausziehen wie einem Kind die Strumpfhose, dann wäre ich ziemlich nackt. Das Schreiben ist Lebensinhalt, Bestätigung, Flucht, Eitelkeits streichler, Selbstvertrauenslieferant, Einnahmequelle, mein Kind, meine Liebe – all das.
    Okay, gut. Was bleibt jetzt noch übrig an Brennmaterial?
    Die Frage ist ja zunächst: Muss ich für etwas brennen? Als 39-jähriger deutscher Mann? Muss ich mich für Politik interessieren? Muss ich mich engagieren? Muss mir irgendwas wichtiger sein als das Ich? Könnte ich mich hinstellen und sagen: »Ich interessiere mich aufrichtig und mit glühendem Herzen für mich?« Das klingt nicht gut, oder? Man spürt einen Vorwurf in der Brust. Du, Maxim, schreibst: »Mit fällt es immer schwerer, mich für Politik zu interessieren, gar zu begeistern.« Und es schwingt mit: Es tut mir leid, ich weiß nicht, woran es liegt, ich fühle mich schlecht dabei, unwürdig und oberflächlich.
    Ich finde, wir sollten also zuerst mal klären, warum wir überhaupt denken, dass wir brennen müssen, Engagement zeigen für die Gesellschaft, Interesse an Politik. Woher kommt das? Darf man kein Interesse an Politik haben, als ernst zu nehmender Mann? Wird man damit automatisch weniger ernst zu nehmend? Leute interessieren sich für alles Mögliche nicht: Wirtschaft, Sport, Musik, Theater, Bücher, Autos, Militärgeschichte, Kriege in Afrika, Bettler. Aber sich nicht für Politik zu interessieren? Ist irgendwie nicht akzeptabel. Warum ist das so, Maxim? Warum fühlen wir uns eigentlich schlecht, wenn uns die Gesellschaft ein bisschen kaltlässt?
    Was steckt dahinter?
    re:
    Lieber Jochen, ich schätze, das Engagement für die anderen gehört zu dem Bild, das wir von uns haben. Ein anerzogenes Bild. Vielleicht ist es auch geprägt von unserer Kindheit in der DDR. Meine Mutter war Elternaktivvorsitzende, wir haben Kuchen für Nicaragua gebacken und Geld für Angola gesammelt. Man konnte da nicht sagen: Die Angolaner sollen allein klarkommen.
    Meine Eltern sind heute noch so. Meine Mutter arbeitet in Vereinen und Bürgerinitiativen mit, mein Vater geht ständig gegen irgendwas demonstrieren. Manchmal fragen sie, was ich denn so mache. Nicht vorwurfsvoll, sie sind eher neugierig, weil sie sich nicht vorstellen können, nichts zu machen. Meine Mutter sagt dann gerne: »Na, du hast ja die Familie.«
    Ja, zum Glück habe ich die Familie. Sie ist wie ein Bonus auf meinem ansonsten leeren Konto der guten Taten. Ich kann immer sagen, dass es ohne Männer wie mich in ein paar Jahren noch

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