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Sprechende Maenner

Sprechende Maenner

Titel: Sprechende Maenner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maxim Leo , Jochen-Martin Gutsch
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Aktien. Ich erwarte von einem Politiker nicht, dass er Ideale hat, von einem Konzern nicht, dass er ökologisch handelt, und von einer Bank weiß ich gar nicht, was ich überhaupt erwarten soll. Ich meine das nicht gekränkt oder halte Politiker für schlechte Menschen, noch möchte ich Konzerne verbieten und Banken enteignen. Ich erwarte einfach nur nichts.
    Ist das desillusioniert? Man könnte auch sagen, es ist emanzipiert. Ich schaue zu einem Politiker nicht auf, ich erwarte keine Rettung. Ich weiß nicht mal, ob ich links oder Mitte oder rechts bin. Ich wäre lie ber ein Linker, wäre mir sympathischer. Aber warum eigentlich? Ich habe immer nur SPD und Grüne gewählt. Vor allem aus Prinzip, weniger aus Überzeugung. Es sind, wenn ich ehrlich bin, nur Reflexe aus der Jugendzeit, aus dem Kalten Krieg. Was macht es für einen Unterschied, ob die CDU regiert oder die SPD oder die Grünen?
    Ich diskutiere selten über Politik. Wenn ich mit Freunden zusammensitze, reden wir nicht über die Wahlen, Afghanistan oder die Gesundheitsreform. Politik ist für mich kein Abendthema, kein Kneipenthema, dabei bin ich in einer Familie aufgewachsen, wo es immer ein Thema war. Vielleicht liegt es an all den Diskussionen, Debatten, den echten und den künstlichen. Ich kann heute jeden Abend eine politische Talkshow sehen, jeden Tag diskutieren, reden, mich empören. Ich kann dabei sein, ohne mich einbringen zu müssen.
    Das macht es billig, unsexy. Politik ist Fast Food. Sie berührt mich nicht. Sie erscheint mir oft klein, so unwichtig. Früher waren die Themen riesig: der Weltfriede, das Waldsterben, die Befreiungsbewegung in Lateinamerika, die RAF , der Kommunismus. Alles riesige Brocken. Und es berührte, emotionalisierte mich. Ich kann mich heute für Steuererleichterungen, Gesundheitsreformen, die Autobahnmaut, die Rente mit 67 oder anderes nicht begeistern. Es erscheint mir krämerisch. Als ob es um nichts mehr ginge.
    Ich fühle es nicht.
    re:
    Lieber Jochen, leiden wir an einer Berufskrankheit? Wir gucken oft hinter die Kulissen der Macht, wir begleiten wichtige Politiker im Wahlkampf, besuchen für eine Geschichte den SPD -Ortsverein, wir erleben Politik aus einer Beobachterperspektive, wie ein Theaterstück, das andere aufführen. Die Magie ist längst nicht mehr da. Es gibt heute keinen Politiker, der mich beeindruckt, der mich packt, für den ich etwas tun würde. Keinen.
    Anfang der 90er-Jahre ging ich mal zu einem CDU -Parteitag, hier in Berlin. Nur um Helmut Kohl zu sehen. Den Kanzler der Einheit. Nicht weil ich ein Kohl-Fan war, sondern weil ich mal einen Parteitag sehen wollte. Weil ich Politik live erleben wollte, weil ich Demokratie mal fühlen wollte, sozusagen anfassen. Ich fand das aufregend, spannend, damals. Heute wäre das für mich unvorstellbar. Freiwillig auf einem CDU -Parteitag? Was soll ich da?
    aw:
    Lieber Enkel der Einheit, mir ist aufgefallen, es gibt immer öfter so ein Kaufengagement. Man kauft Bioobst und Fair-Trade-Produkte und ist dadurch auf der richtigen Seite. Helfen durch Kaufen. Politik machen durch Kaufen.
    Das ist verbreiteter als demonstrieren.
    Vor ein paar Wochen war ich auf einer Lesung. Die Schriftstellerin Karen Duve las aus ihrem Vegetarierbuch. Sie las, wie sie in eine Geflügelfarm einbrach, um Hühner zu retten. Ein Huhn lebt jetzt bei ihr zu Hause. Ich dachte später: Warum nimmt sie keine Menschen bei sich auf? Das ist kein faires Argument, klar, und ich verstehe, dass ein Huhn auf der Couch angenehmer ist als ein Bettler aus der Fußgängerzone. Aber es bleibt seltsam.
    Die Umweltsorge passt in unser bürgerliches Leben besser als andere Sorgen. Sie ist lifestylekompatibel. Die Sorge um die Umwelt hat die Sorge um den Menschen überholt.
    Tue ich also etwas, Maxim? Brenne ich für irgendetwas, irgendwen außer für mich selbst? Ich habe nicht mal einen Blutspendeausweis oder einen Organspendeausweis. Obwohl ich sofort ein Organ spen den würde, wenn ich es nicht mehr brauche.
    Ich wurde groß mit jeder Menge Engagement. Ich war elf oder zwölf, als wir im Garten des evangelischen Gemeindehauses einen Nachmittag für Behinderte veranstalteten. Wir, das war meine Christenlehregruppe. Wir sollten mit den Behinderten Kuchen essen und spielen. Mein Behinderter saß im Rollstuhl, er konnte nicht reden, der Speichel floss unaufhörlich, und ich versuchte Kuchen in ihn

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