Sprechende Maenner
â¦Â«, sagt Botha zerknirscht.
Es war eine künstliche Solidarität, Maxim. Ein künstliches Engagement. Die Gesten waren immer groÃ, aber niemand hat an die Gesten geglaubt. Sie waren hohl. Das haben wir gespürt, und ich glaube, das hat uns auch versaut. Wir halten auch heute noch alle Gesten, die von den Worten Solidarität, Engagement, Weltfrieden, Gerechtigkeit umweht sind, instinktiv für hohl. Sie berühren uns nicht. Ich glaube eben nicht daran, dass George W. Bush in Washington nervös in seinem Präsidentenzimmer auf und ab geht, weil an der Siegessäule in Berlin der Redner der Ortsgruppe der IG Metall den Irakkrieg verdammt.
Aber es ist eigentlich schade.
re:
Gibt es nichts, was dich aufregt? Engagement beginnt ja oft mit Aufregung, irgendeiner Form von Empörung. Oder Wut.
aw:
Lieber Maxim, ich spüre selten Empörung in mir. Es ist, als wäre meine Empörung mit der Pubertät verschwunden. Meine Mutter, mein Vater sind beide über siebzig, aber noch immer von einer gesunden Empörungsbereitschaft durchzogen. Empörte Menschen demonstrieren, gründen Bürgerinitiativen, aber was mich an der Empörung und den empörten Menschen oft stört, ist der Mangel an Zweifel. Zweifel ist Gift für die Empörung.
Ich habe oft Zweifel. Vielleicht ist das eine Berufskrankheit. Ich halte Zweifel für wichtiger als irgendeine Empörung. Ich halte das Ringen um eine Haltung für wichtiger als die Haltung selbst. Ich habe durch den Reporterjob eines gelernt: Alles ist kompliziert. Und je mehr du weiÃt, umso komplizierter wird es. Das ist keine wahnsinnig kluge Erkenntnis, aber es ist nicht leicht, den Zweifel als eine Art Lebensgrundhaltung zu etablieren. Meine Mutter kann sich leidenschaftlich über den Afghanistaneinsatz empören, sie kann vom Frieden reden, aber sie war eben, im Gegensatz zu mir, noch nie in Afghanistan. Sie hat noch nie einen Afghanen getroffen. Sie empört sich, wenn man es böse ausdrücken will, über etwas, von dem sie keine Ahnung hat. Das sie nur aus dem Fernsehen kennt. Aber sie würde dagegen protestieren auf einer Demo. Kein Zweifel.
re:
Lieber Jochen, eine Freundin von mir geht jeden Mittwochabend in ein Obdachlosenzentrum, gibt dort Essen aus und unterhält sich mit den Obdachlosen. Die Freundin sagt, die Gespräche seien wichtiger als das Essen.
Ein 16-jähriges Mädchen aus meinem Haus geht regelmäÃig in das Altenheim um die Ecke und trinkt Tee mit einer alten Frau, die niemanden mehr hat. Die Pfleger sagen, wenn das Mädchen nicht käme, wäre die Frau längst tot.
Bekannte von uns haben ein zwölfjähriges Pflegekind aufgenommen, das von seinen Eltern misshandelt wurde. Dieses Kind ist kompliziert, nicht besonders süÃ, und es kann sein, dass es in ein paar Jahren wieder weg ist. Aber diese Bekannten kümmern sich um das Kind, als wäre es ihr eigenes.
Das ist für mich Engagement. Das sind für mich Dinge, die wichtig sind. Du, Jochen, und ich, wir haben beide Glück. Wir haben Eltern, die uns lieben, gute Jobs, verdienen gute Gehälter, haben gute Wohnungen. Wir nehmen das alles als selbstverständlich hin. Aber was geben wir? Was gibst du, Jochen? Was machst du mit deinem Meer aus Zeit? Wärest du bereit, etwas für andere zu tun? Für eine wirklich gute Sache, die dich überzeugt?
Unser Problem ist, dass wir es uns in unserer Welt gemütlich gemacht haben und kaum noch Probleme an uns rankommen. Wir leben im Wohlstands-Gute-Laune-Ghetto, wir wissen gar nicht mehr, was ein Problem ist. Deshalb schaffen wir uns diesen ganzen larmoyanten, komplett künstlichen Problemberg herbei, wo es um FrauenfüÃe und bilinguale Erziehungsmethoden geht. Wir beide, du und ich, sind vom Wohlstand versaut. Das können wir uns kurz vor Augen halten â und dann werden wir es vermutlich wieder vergessen.
aw:
Lieber Maxim, ich schätze, Empörung setzt ein Gefühl voraus, ein Gefühl von: Ich fühle mich betrogen oder angegriffen. Als Mensch, Mann oder Bürger. Jemand hat mich getäuscht, verraten, verkauft, nicht informiert. Und dann beginnt die Unterlippe zu beben, und die Schnappatmung setzt ein.
Die üblichen Empörungsauslöser sind die Politiker, die Banken oder die Konzerne. Mit all denen habe ich keine groÃen Empörungserfahrungen gemacht. Vielleicht weil ich keine Erwartungshaltung habe. Und auch keine
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