Sprechende Maenner
Filme gestern Abend angeschaut, und es war eine Zeitreise zu mir selbst. Ich habe einen Typen gesehen, der jung, aufgeregt und sehr verliebt war. Ein bisschen peinlich. Ziemlich peinlich sogar. Im Mai 2000 haben wir das aufgenommen, eine Woche vor der Geburt von Anais. Catherine sitzt da, ich streichele ständig ihren dicken Bauch, küsse ihre Wange und habe ein fanatisches Lachen in den Augen. Ein Lachen, das man sonst nur bei sehr gläubigen Menschen sieht, wenn sie von einer Begegnung mit Gott berichten. Wir wälzen uns in unserer Liebe, in unserem bevorstehenden Elternglück. Wir sind von uns selbst beseelt, wir glauben an uns.
Wir sitzen auf unserem Balkon, und Catherine fragt, wie mich die Schwangerschaft verändert hat. Ich sage, ich würde die Arbeit jetzt nicht mehr so wichtig finden. »Ab heute zählt nur noch die Familie!«, rufe ich in die Kamera, und mein selbstergriffener Blick verrät, dass dieser Satz nicht ironisch gemeint ist. Ich erzähle von meinen Sorgen, die vielfältiger Natur sind. Ich habe Angst vor einer Fehlgeburt, vor einer Behinderung. Ich achte darauf, was Catherine isst, damit es dem Kind an nichts fehlt. Ich erzähle von einem Albtraum, in dem ich das Kind wickele und auf einmal die Beine in der Hand habe. Das Kind schreit, überall ist Blut. Catherine sagt: »Ich glaube, Maxim ist ein sehr besorgter Vater. Er hat schon alle möglichen Bücher gelesen. Er weià alles und fürchtet sich sehr. Das war früher nicht so.«
aw:
Warum erzählst du mir das? Was willst du mir damit sagen? Du willst mir doch etwas sagen, oder?
re:
Es geht um meine Verwandlung, Jochen! Du willst doch ständig wissen, warum ich so bin, wie ich bin?
aw:
Will ich nicht.
re:
Doch. Du sagst es nicht so direkt. Aber ich spüre es. Du fragst dich: War Maxim früher mal ganz normal? War er mal jemand wie ich? Was ist mit ihm passiert?
aw:
Ich fühle mich wie auf einem Diavortrag.
re:
Willst du was lernen, Jochen? Na also. Dieser junge Mann in den Videos ist mir vertraut und fremd zugleich. Ich sehe die Verwandlung, die bereits begonnen hat. Die Metamorphose vom Mann zum Vater. Mit welcher Bedeutung wir alles aufgeblasen haben, welch einen Triumph die nahende Geburt darstellte. Für alle nicht hormonell veränderten Menschen müssen wir unerträglich gewesen sein in dieser Zeit. Nach der Balkonszene tanzen wir in unserem Wohnzimmer zur Musik von Manu Chao. Catherine mit ihrem riesigen Bauch, wir wiegen uns im Takt der Musik, im Rausch unserer Gefühle, wir sind in uns verschlungen, von der AuÃenwelt getrennt. Im Universum des ungeborenen Kindes.
Es gibt einen Schnitt, man sieht den nackten Bauch von Catherine und mich bei der Frei-Ãl-Massage. Sofort habe ich den Geruch wieder in der Nase. Die Hebamme hatte uns gesagt, man müsse den Bauch immer schön einölen, um Schwangerschaftsstreifen zu vermeiden. Sechs Monate lang habe ich jeden Abend den Bauch geölt, dabei mit meinem Kind gesprochen, die La-Li-Lu-Spieluhr auf die Bauchdecke gelegt und für Catherine Melisse-Kampfer-Tee gegen Krampfadern gekocht.
Ab der dritten Videokassette sprechen Catherine und ich nur noch in Babysprache. Die Kassette ist für das Kind gedacht. Später soll es sich das alles anschauen. Wir ziehen die Stimme am Ende des Satzes tantig nach oben, und Catherine nennt mich zum ersten Mal Papa. »Der Papa ist schon ganz aufgeregt und freut sich, dass du kommst, Schnützelchen«, sagt sie.
Nächste Kassette: Anais ist geboren. Sie liegt in einem kleinen Krankenhausbett und schläft. Neben ihrem Kopf mein Kopf. Ich flüstere in die Kamera, dass ich sie schon zweimal gewickelt habe.
Schnitt, ich stehe zu Hause im Flur mit dem Glückskäfer-Baby tragesack, in dem Anais schläft. Ich sage: »Anais ist jetzt zehn Tage und sieben Stunden alt. Es wird Zeit für einen Spaziergang mit Papa.«
Dann gehe ich los. Ein neuer Mann in einer neuen Welt.
Ich kann mich kaum noch erinnern, wie ich vorher war, Jochen. Bevor die Filme gedreht wurden. Ich nehme an, ich war ein normaler Mann. Woran liegt es, dass die Väter in den Generationen vor mir auch normale Männer blieben, nachdem sie Väter wurden? Ich gucke jetzt weiter. Es gibt noch zehn Kassetten bis zum ersten Geburtstag von Anais, der auch mein erster Geburtstag als Vater war.
aw:
Lieber Maxim, ich wollte gleich antworten, aber das ging nicht, weil aus meinem Laptop 80 Liter
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