Sprengkraft
sich los, schaltete Fernseher und DVD-Spieler ein und wandte sich der Kommode zu. Sie wühlte in der untersten Schublade zwischen Kleidungsstücken.
Eine Disk, die sie dort versteckt hatte – Tonia schob sie in das Abspielgerät.
»Sie dürfen auf keinen Fall Fatima davon erzählen«, wiederholte sie. »Garantieren Sie mir das?«
»Meine Kollegin hat Ihnen doch schon …«
»Ich will es auch von Ihnen hören«, verlangte Stills Tochter. »Laut und deutlich.«
»Ja, versprochen«, antwortete Veller, obwohl er wusste, dass seine Zusicherung nichts wert war, falls die DVD im Prozess gegen ihren Vater eine Rolle spielen würde. Er war gespannt auf das, was die marokkanische Freundin nicht wissen durfte.
Tonia startete den Film.
Eine Aufnahme aus ihrer ersten Wohnung. Sie sahen zu, wie die Studentin Kerzen anzündete und jemandem die Tür aufhielt. Ein Mann kam herein.
Er stellte eine Flasche auf den Tisch und umarmte Tonia ungestüm. Ein attraktiver Typ. Ende zwanzig, schwarzes Haar, Dreitagebart.
Tonia hielt das Abspielgerät an. »Mein Vater hat mir diese Aufnahme gegeben. Damit machte er mir klar, dass ich seine Sklavin bin. Dass ich nur tun darf, was er mir erlaubt. Anderthalb Jahre ist das jetzt her. Seitdem weiß ich, was Kontrolle bedeutet.«
Sie ließ den Film weiterlaufen.
Der Kerl öffnete die Flasche. Veller erkannte das Etikett einer teuren Champagnermarke. Tonia brachte Gläser, doch das Pärchen trank nichts, sondern kam auf dem Sofa rasch zur Sache. Bevor das erste Kleidungsstück zu Boden fiel, drückte Tonia die Taste und das Bild fror wieder ein.
»Sie können sich denken, wie es weitergeht.«
»Ihrem Vater gefiel nicht, dass Sie Männerbesuch hatten?«, fragte Anna.
»Vor allem nicht, dass es ein Marokkaner war. Mein Vater machte mir klar, dass so etwas nie wieder passieren dürfte.«
»Wer ist der junge Mann?«, fragte Veller.
»Ich habe ihn durch Fatima kennengelernt. Er wusste nicht, dass sie und ich zusammen sind. Wir waren immer darauf bedacht, unsere Beziehung geheim zu halten. Dieser Mann hat mich irgendwie überrumpelt. Er machte mir recht ausdauernd den Hof und war sehr charmant dabei. Eigentlich habe ich mir nicht viel aus ihm gemacht, aber an diesem Abend hatte ich etwas getrunken und wollte wissen, wie es ist, es mal mit einem Mann zu tun.«
»Deshalb darf Ihre Freundin also nichts davon wissen«, folgerte Anna.
»Das ist noch nicht alles«, sagte Tonia und hielt die DVD-Hülle fest. Die Finger zitterten.
»Reden Sie weiter«, ermunterte sie Veller.
Tonia flüsterte: »Mein Vater hat mir damit gedroht, dass er jeden Araber, mit dem er mich erwischen würde, töten werde, wie er diesen Mann getötet hat.«
Der Kerl auf dem Standbild hatte seine Hand unter Tonias Bluse geschoben und lachte. Veller wurde klar, an wen ihn die Gesichtszüge erinnerten. Die Brüder sahen sich ähnlich.
Veller sagte: »Sie hätten zur Polizei gehen müssen.«
»Tonia hatte Angst vor ihrem Vater«, bat Anna als Erklärung an.
»Nein, vor Fatima« entgegnete die junge Frau und begann zu schluchzen. »Ich habe sie mit ihrem eigenen Bruder betrogen. Das ist Noureddine. Und ich bin der Grund dafür, dass er tot ist! Wenn Fatima das erfährt, verlässt sie mich. Sie werden diese Information für sich behalten. Sie haben mir Ihr Wort gegeben!«
Während Veller die DVD an sich nahm, ließ Tonia ihren Tränen freien Lauf. Er wollte ihr sein Taschentuch leihen, doch sie sprang plötzlich auf und musterte die Regalwand. Sie begann, Marionetten und Bücher herauszureißen und auf den Boden zu schleudern, bis Anna sie stoppte.
»Es ist gut, Tonia«, sagte sie. »Beruhigen Sie sich. Er kann Ihnen nichts mehr tun. Es wird nie wieder Kameras in Ihrer Wohnung geben.«
Stills Tochter riss sich los. »Mein Vater hatte Helfer. Er gab sogar damit an, dass er einen Verfassungsschutzmitarbeiter auf Noureddine angesetzt hätte.«
»Das alles hat er Ihnen verraten?«
»Er wusste genau, wie sehr er mich mit jedem Detail, das er mir erzählte, treffen würde. Ich fürchte, ich werde die Angst vor ihm niemals los, auch wenn er für immer eingesperrt bleibt!«
Veller fragte: »Was hat Ihr Vater über den Mord an Noureddine erzählt?«
»Dass er ihm jeweils dreimal in Kopf und Herz geschossen hat. Dass sein Spitzel ihm geholfen hat, Noureddine in die Falle zu locken. Dass er Zugriff auf sämtliche Daten, die der Staat von den Bürgern sammelt, hätte und ich seiner Kontrolle
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