Sprengkraft
intimer Kreis sein. Darunter Konrad Rolfes und Roswitha Reimer-Rothenbaum. Kennen Sie die beiden?«
»Nicht persönlich«, antwortete Moritz. »Aber es wird mir eine Freude sein.«
Rolfes war Auschwitz-Überlebender und ein international bekannter Schriftsteller, der in Köln lebte. Schwul, links und eine oft zitierte moralische Instanz unter den Intellektuellen der Republik. Büchner-Preisträger, wie Moritz sich zu erinnern glaubte. Und in jedem Herbst fiel sein Name als möglicher Kandidat für den Literaturnobelpreis.
Reimer-Rothenbaum galt als die Koryphäe der Meinungsforschung in Deutschland. Gründerin des Hamburger Rothenbaum-Instituts, als dessen Seniorchefin sie noch immer fungierte. Ganz anders gestrickt als Rolfes: eine streng konservative Dame, die alles hasste, was nach Sozialismus roch, und Generationen von CDU-Vorsitzenden als Beraterin zur Seite gestanden hatte.
Beide Namen waren schon in Moritz’ Jugend ein Begriff gewesen. Fernsehprominenz der ersten Stunde – die Herrschaften mussten inzwischen über achtzig sein.
Bucerius ergänzte: »Und als Kölner ist Ihnen sicher auch Carola Ott-Petersen ein Begriff.«
Moritz nickte und schlürfte den Milchschaum vom Kaffee.
Es geht um Politik – Ott-Petersen saß für die CDU im Bundestag, ihr Wahlkreis lag im Norden der Domstadt. Moritz rekapitulierte seinen Eindruck: Die Frau war jung, dynamisch und höchst kreativ, wenn es darum ging, den Wählern zu gefallen. Gern verbreitete ihre Partei Fotos, auf denen die Abgeordnete als Rockerbraut in rotem Leder posierte, und tatsächlich besaß sie eine schwere Harley – seine Stimme hatte Moritz ihr trotzdem nicht gegeben. Er war beim letzten Mal gar nicht zur Wahl gegangen.
Plötzlich fiel ihm ein, was alle drei Namen verband: Carola Ott-Petersen hatte sich gegen den Bau der Moschee in Ehrenfeld ausgesprochen – im Unterschied zur Mehrheit ihrer Partei. Auch der Schriftsteller Rolfes lehnte das Muslimprojekt ab, obwohl er bislang als unerschütterlicher Verteidiger von Minderheitsrechten gegolten hatte. Und die ebenso steinalte wie streitfreudige Meinungsforscherin Reimer-Rothenbaum hatte jüngst der deutschen Politik eine falsche Toleranz gegenüber dem Islam vorgeworfen – in einem Interview der Frankfurter Allgemeinen, das hohe Wellen geschlagen hatte, weil Reimer-Rothenbaum sogar die Bundeskanzlerin angegriffen hatte, zu deren Freundeskreis sie bislang gerechnet worden war.
Moritz dachte an das Flugblatt, das ihm am Morgen auf dem Weg zum Auto in die Hand gedrückt worden war. Unterzeichnet hatten es die örtliche Bürgerinitiative sowie eine junge Partei, die sich Bürgerbewegung Pro Freiheit – die Freiheitlichen nannte und es mit dem Schüren antiislamischer Ressentiments immerhin schon in den Kölner Stadtrat geschafft hatte.
Bucerius wandte den Blick zum Restauranteingang und wedelte mit dem Arm.
Ein hagerer Typ in Moritz’ Alter eilte mit weiten Schritten heran. Dunkle Locken, auf der Nase eine Brille mit eckigem Gestell. Er hielt sich leicht gebeugt, wie es groß gewachsene Männer tun, die lieber kleiner wären, schüttelte dem Unternehmer die Hand und musterte Moritz.
»Das ist Herr Lemke, über den wir gesprochen haben«, erklärte Bucerius, »Journalist und PR-Fachmann aus Köln-Ehrenfeld.« Er betonte den Namen des Stadtteils und Moritz war sich endgültig sicher, dass das Moscheeprojekt eine Rolle bei diesem Treffen spielte. »Und das ist Herr Still aus dem Innenministerium. Die Idee zu diesem Treffen haben wir gemeinsam entwickelt. Stimmt doch, Herr Still, nicht wahr?«
Der Angesprochene gab Moritz die Hand. Seine Brillengläser wirkten wie Lupen – für einen Moment kam sich Moritz unter dem Blick des Hageren vor wie ein aufgespießtes Insekt. Innenministerium – ausgerechnet, dachte Moritz.
»Schön, dass Sie mit von der Partie sind«, sagte Still. »Ich habe schon vernommen, dass Ihnen in meiner Behörde übel mitgespielt wurde, deshalb lassen Sie mich versichern, dass ich voll und ganz auf Ihrer Seite stehe.«
Moritz fragte sich, woher der Mann Bescheid wusste.
Still wandte sich an Bucerius: »Haben Sie Herrn Lemke bereits eingeweiht?«
Der Baulöwe sah auf seine Uhr. »Ich dachte, wir lauschen erst einmal unseren Referenten.«
»Mitten unter uns, meine Damen und Herren, gibt es eine Parallelgesellschaft, in der Abschottung, Unterdrückung und Gefangenschaft muslimischer Frauen als Norm herrschen, bis hin zur Perversität der sogenannten
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