Sprengkraft
Gefummel und Geknutsche gewesen. Den Rest holten sie jetzt nach. Es gab nichts Peinliches, kein langes Herantasten. Moritz stellte sich Petra vor, die eines Nachts während ihres Weihnachtsbesuchs unter seine Decke gekrochen war – es steigerte seine Erregung noch. Carola bewegte sich heftig und wurde laut. Moritz kam es geschauspielert vor, aber er ließ sich davon nicht ablenken. Sie waren erwachsen und wussten, was sie wollten.
Danach schmiegten sie sich aneinander, fast wie ein langjähriges Paar.
Nach einer Weile geriet Moritz ins Grübeln – die Erinnerung an den gestrigen Abend kehrte zurück. Bucerius und Still. Der obskure Parteienscheiß, das sagenhafte Angebot.
»Warum, Carola?«, fragte er und musterte ihr Gesicht. Kein Make-up – Moritz konnte die Sommersprossen auf ihrer Nase zählen.
»Du gefällst mir«, sagte sie. »Ist das kein guter Grund?«
»Danke, aber ich meinte die Freiheitlichen.«
»Warum ich da mitmache?«
»Ja. Du gibst deine CDU-Karriere auf und riskierst alles für eine dubiose Splitterpartei.«
»Soll ich ehrlich sein?«
»Bitte.«
»Eigentlich habe ich die Politik satt.«
»Das kann ich nicht glauben.«
Für einen Moment dachte er, sein Widerspruch hätte ihre Stimmung getrübt, doch sie redete weiter, den Blick gegen die Decke gerichtet.
»In der Politik darfst du niemals du selbst sein. Du musst dich ständig verbiegen. Allen nach dem Mund reden. Den Leuten an der Parteibasis, den Bonzen an der Spitze, den Wählern. Denen vor allem. Nur nicht vom Mainstream abweichen. Magst du Dixieland-Jazz?«
Moritz schüttelte den Kopf.
»Wenn auf einer Wahlveranstaltung eine Dixie-Band spielt und du stehst mit auf der Bühne, musst du so tun, als sei es das Größte, auch wenn du diese Art von Musik nicht leiden kannst. Das meine ich. Es ist zum Kotzen.«
»Ich dachte, Dixie wird bei der SPD gespielt.«
»Die Parteien gleichen sich immer mehr an. Und weißt du, was das Schlimmste ist?«
»Nein.«
»Dass du alles schluckst, obwohl es so widerlich ist, weil du dir einredest, dass du es verändern könntest, sobald du erst mal an der Spitze stehst. Mein eigener Ehrgeiz hat mich verbogen.«
»Aber du hast etwas erreicht und das wirst du verlieren.«
»Das Abgeordnetenmandat in Berlin können sie mir nicht nehmen. Und wenn es ausläuft, wechsle ich in die Bucerius KG. Meine Position wird sich nicht verschlechtern, keine Angst.«
Moritz zog die Decke zurecht, weil ihm kühl wurde.
Carola fuhr fort: »Wenn es allerdings mit den Freiheitlichen klappen sollte, werde ich Fraktionsvorsitzende im Landtag. Das wäre erst recht keine Verschlechterung.«
»Du verbiegst dich wieder.«
»Wieso? Wir bestimmen den Kurs!«
»Wir?«
»Ich als Vorsitzende und du als mein Sprecher.«
»An der Leine von Edwin Bucerius und Norbert Still.«
»Das sehe ich anders. In ein paar Tagen stehen wir am Ruder.« Carola rückte etwas von Moritz ab und betrachtete ihn. »Du warst tatsächlich bei den Grünen?«
»Vor ewigen Zeiten.«
»Nannten die sich am Anfang nicht eine Anti-Parteien-Partei?«
»Stimmt.«
»So sehe ich auch die Freiheitlichen. Als Dorn im Filz der etablierten Parteien. Als ehrliche Stimme.«
Moritz beugte sich über Carola und küsste sie auf die Sommersprossen, die er nicht nur im Gesicht fand. Der Hals, die Brüste.
Er musste sich Carolas Worte merken. Ehrliche Stimme – ein schöner Slogan.
Wenn er den Beraterjob annahm, durfte allerdings Petra nichts davon erfahren. Sonst würde sie niemals zu ihm zurückkehren.
Seine Vorsitzende in spe erblickte den Wecker auf dem Nachtkästchen. »Oha, mein Flieger! Ich muss in vierzig Minuten am Gate sein!«
Sie sprang aus dem Bett und lief ins Bad. Moritz lauschte dem Prasseln der Dusche und dem Klappern diverser Kosmetiktiegel. Er selbst hatte es nicht eilig. Zu Hause wartete nur die Katze.
Er drückte die Fernbedienung der Hotelglotze, um im Videotext der ARD die jüngsten Nachrichten zu lesen.
Mainz – die Stimmung kochte hoch: Türkische Jugendliche hatten Feuerwehrleute verprügelt, denen sie vorwarfen, mit vorsätzlicher Verspätung beim brennenden Wohnhaus eingetroffen zu sein. Dabei sei der Löschzug in Rekordzeit am Brandort gewesen, hieß es.
In Carolas Handtasche, die im Sessel lag, schrillte gedämpft ihr Handy. Carola eilte aus dem Bad, nackt und mit nassem Haar, kramte in der Tasche und klappte das Mobiltelefon auf.
»Ott.«
Moritz knipste den Fernseher aus und zog
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