Sprengkraft
überkommenen Traditionen propagierte, insbesondere die Befreiung der Frauen. Zudem rückte er den Kampf gegen Kungelei und Korruption in den Vordergrund, was auch Carola am Herzen lag: Dorn im Filz der etablierten Parteien, ehrliche Stimme.
Er und die designierte Vorsitzende, ein gutes Team – in jeder Hinsicht.
Im Tunnel wechselte Moritz auf die rechte Spur und nahm die Ausfahrt. Vor dem Innenministerium, einem Kasten aus Aluminium und Glas, gelangte er zurück ans Tageslicht. Sofort musste er an Pressesprecher Weber denken, den Herrn über den PR-Etat des Hauses: Beträge bis zehntausend Euro kann ich ohne Rücksprache …
Moritz spekulierte: Wenn die Freiheitlichen der FDP genügend Stimmen abgruben, würde die Landtagswahl das Ende Andermatts als Minister bedeuten und damit auch das Aus für Weber. Womöglich ließen sich im Nachhinein Belege für dessen Machenschaften finden – der Gedanke daran beflügelte Moritz noch mehr.
Er lenkte seinen Mondeo in die Tiefgarage des neuen Hochhauses an der Graf-Adolf-Straße. Die Bucerius KG hatte den eleganten Turm vor drei Jahren errichtet und noch nicht komplett vermietet. Die Büros der Bürgerbewegung Pro Freiheit – die Freiheitlichen lagen im vierten Stock, gemeinsam mit der Bucerius-Beteiligungsgesellschaft, der Bucerius Immobilien GmbH, der Edwin-A.- Bucerius -Stiftung, der parteinahen Arbeitsgruppe Mittelstand Pro Freiheit und dem Verein Jugend Pro Freiheit.
Moritz trat aus dem Aufzug und fand sich inmitten eines staubigen Chaos aus Umzugskisten und Möbelteilen. Handwerker montierten mit ratternden Drehschraubern einen Empfangstresen aus lackierten Spanplatten. Moritz stieg über Kabel, betrat den Flur und grüßte Heike, die Sekretärin.
Sie reichte ihm eine Liste mit Interviewanfragen. Moritz überflog die Namen. Alle Achtung: Die Redaktion der Anne-Will-Show wünschte sich Carola als Talkgast für übermorgen – besser konnte es gar nicht laufen.
Beschwingt ging Moritz in sein Büro, warf seinen Trenchcoat über einen Karton, zog die Schutzfolie vom Polster eines nagelneuen Stuhls und nahm Platz.
Sein neues Reich. Er testete Telefon und Internetleitung: Alles war angeschlossen und funktionierte sogar. Die Bucerius-Leute hatten ganze Arbeit geleistet.
Simon Gräfe trat ein und legte ihm einen Stapel dünner Schnellhefter auf den Tisch. Gräfe galt als kaufmännisches Wunderkind und Bucerius’ rechte Hand in der Duisburger Firmenzentrale. Auch ihn würde der Parteitag am Samstag wählen – zum neuen Bundesgeschäftsführer. Nebenher leitete der Mann die parteinahen Vereine, die zum Teil erst auf dem Papier existierten.
»Könnten Sie bitte mal einen Blick darauf werfen?«, fragte Gräfe.
»Was ist das?«
»Bewerbungen für unser Wahlkampfteam. Mehr als die durchschnittlichen Praktikantenvergütungen müssen wir diesen Uni-Absolventen nicht bezahlen, also sollten wir uns fünf oder sechs davon leisten können.«
Moritz blätterte die Lebensläufe durch: frisch diplomierte Politikwissenschaftler und zu allem bereite Vertreter der ImM-Generation – Irgendwas mit Medien.
Bislang bestand das Team nur aus Hartz-IV-Empfängern, die von der Straße weg angeheuert worden waren, in ausgewählten Städten Flugblätter verteilten und mit Spendenbüchsen klapperten. Einem war Moritz neulich begegnet. Die armen Schweine arbeiteten auf Provisionsbasis. Die Hälfte ihrer Einnahmen durften sie behalten. Laut Gräfe erwirtschaftete dieses Straßenheer einen Großteil des Wahlkampfetats, den Rest schossen Bucerius und weitere Spender zu.
Der designierte Bundesgeschäftsführer verschwand, einen deutlichen Geruch nach Knoblauch und Zigarren hinterlassend. Moritz schob die Akten beiseite. Die Medienarbeit hatte Vorrang.
Er sagte der Anne-Will-Redaktion zu und bat um ein Fax mit inhaltlichen Angaben zur geplanten Sendung, damit er Carola entsprechend vorbereiten konnte.
Die Zeitungsanfragen beantwortete Moritz der Reihe nach. Eine heikle Aufgabe, denn er musste die Kollegen hinhalten. Er hatte nämlich mit Alex Vogel, dem Chefredakteur des Blitz, eine Exklusiv-Vereinbarung getroffen, die noch bis zur morgigen Kürung der Parteivorsitzenden galt. Seit Wochenbeginn rief Vogel jeden Nachmittag persönlich an und erhielt Moritz’ Kommentar zum aktuellen Geschehen. Daraus bastelte der Blitz -Chef euphorische Meldungen über die wahlweise »attraktive«, »entschlossene« oder »mutige« Carola. Der Preis dafür war, dass Moritz die Parteichefin in
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