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Sprengstoff

Sprengstoff

Titel: Sprengstoff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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süßer Stimme.
    »Junge, Junge«, murmelte er kopfschüttelnd.
    Sie rasten an einem Sedan vorbei, der stete 60 fuhr. Der Fahrer betätigte die Lichthupe. »Fahr zur Hölle!« schrie er.
    »Lassen Sie mich bitte sofort aussteigen!« sagte sie ruhig.
    »Vergessen Sie’s. Ich werde schon keinen Unfall bauen.
    Schlafen Sie weiter.«
    Sie sah ihn lange mißtrauisch an. Dann verschränkte sie wieder die Arme und machte die Augen zu. Sie fuhren an Ausfahrt 9 vorbei.
    Um fünf nach vier erreichten sie Ausfahrt 2. Die Schatten auf der Straße waren länger geworden und hatten eine bestimmte blaue Färbung angenommen, die es nur während der Wintermonate zu geben schien. Venus stand schon am Osthimmel. In Stadtnähe wurde der Verkehr dichter.
    Er blickte zu ihr hinüber und sah, daß sie sich aufgerichtet hatte und die auf der Gegenfahrbahn vorbeiflitzenden Wagen betrachtete. Der Wagen direkt vor ihnen hatte einen Weihnachtsbaum auf dem Dach. Die grünen Augen des Mädchens waren jetzt weit aufgerissen, und einen Augenblick versank er in ihnen. Für eine Sekunde überfiel ihn ein Gefühl vollkommenen Mitempfindens, dessen die Menschen nur manchmal, in gnädigen Momenten, fähig sind. Er stellte sich vor, was sie bei all diesen Autos empfinden mußte, die ein warmes Zuhause als Ziel hatten, die irgendwo hinfuhren, wo es Geschäfte zu erledigen oder Freunde zu be-grüßen gab oder wo eine ganz normale Familie auf sie wartete. Er verstand ihre Gleichgültigkeit gegenüber all diesen Fremden. Und einen kurzen, glasklaren Augenblick lang begriff er, was Thomas Carlyle mit der großen, toten Lokomotive Welt gemeint hatte, die weiter und weiter stampfte.
    »Sind wir bald da?« fragte sie.
    »In fünfzehn Minuten.«
    »Hören Sie, wenn ich unhöflich zu Ihnen war …«
    »Nein, ich war sehr unhöflich zu Ihnen. Wissen Sie, icfr habe heute abend nichts Bestimmtes vor. Ich fahr’ Sie rüber nach Landy.«
    »Nein …«
    »Oder ich stecke Sie für die Nacht ins Holiday Inn. Ohne Gegenleistung. Einfach nur fröhliche Weihnachten und so.«
    »Leben Sie wirklich von Ihrer Frau getrennt?«
    »Ja.«
    »Und erst so kurz?«
    »Ja.«
    »Hat sie die Kinder?«
    »Wir haben keine Kinder.« Sie fuhren jetzt auf die Mautstelle zu. Zwei grüne Ampellichter blinkten gleichgültig im Zwielicht.
    »Dann nehmen Sie mich mit nach Hause.«
    »Sie müssen nicht. Ich meine, Sie müssen nicht …«
    »Es war’ mir heute ganz recht, mit jemandem zusammenzusein«, unterbrach sie ihn. »Ich mag nicht gern bei Nacht trampen. Es ist irgendwie unheimlich.«
    Er hielt neben dem Schalter und drehte das Fenster herunter. Kalte Luft strömte in den Wagen. Er reichte dem Kassierer seine Karte und einen Dollar neunzig und fuhr langsam weiter. Vor ihnen stand ein großes, reflektierendes Schild:
    WIR DANKEN IHNEN FÜRS SICHERE FAHREN!
    »In Ordnung«, sagte er vorsichtig. Er wußte, daß es vermutlich nicht richtig war, sie immer wieder zu beruhigen - es würde wahrscheinlich das Gegenteil bewirken -, aber er konnte nicht anders. »Sehen Sie, es ist nur, daß ich mich zu Hause recht einsam fühle. Wir können zusammen essen und uns dann mit Popcorn vor den Fernseher setzen. Sie schlafen oben im Schlafzimmer, und ich werde …«
    Sie lachte leise, und er spähte vorsichtig zu ihr hinüber, während er die große Schleife der Ausfahrt hinunterfuhr.
    Aber er konnte sie im Dämmerlicht kaum mehr erkennen.
     
    Sie war nur eine dunkle Gestalt. Sie hätte auch ein Traum sein können. Der Gedanke gefiel ihm gar nicht.
    »Hören Sie, ich sag’s ihnen lieber gleich«, begann sie. »Erinnern Sie sich an den betrunkenen Kerl, von dem ich erzählt habe? Ich hab’ mit ihm die Nacht zusammen verbracht. Er hat mich bis Stilson gebracht. Das war sein Preis.«
    Er hielt vor der roten Ampel am Fuß der Schleife.
    »Meine Zimmernachbarin hat mich gewarnt, daß es so kommen würde, aber ich wollte ihr nicht glauben. Ich würde mich niemals quer durchs Land ficken, ich nicht.« Sie warf ihm einen flüchtigen Blick zu, aber er konnte ihren Gesichtsausdruck nicht erkennen. »Es ist nicht, so, daß man von den Leuten dazu gezwungen wird«, fuhr sie fort. »Man fühlt sich so losgelöst von allem, als würde man im Weltraum herumspazieren. Man kommt in eine fremde Stadt und denkt an all die Leute, die darin leben, und man möchte am liebsten weinen. Ich weiß nicht warum, aber es ist so. Es kann so schlimm werden, daß man sogar mit einem Kerl voller Pickel mitgehen würde, nur damit man

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