Sprengstoff
hineingeschoben und sie dann mit einer Nadel und einem blauen Faden aus Marys Nähkästchen wieder zugenäht. Sein Angebot, sie zum Busbahnhof zu fahren, hatte sie mit der Begründung abgelehnt, daß das Geld länger reichen würde, wenn sie weiter trampte.
»Also, was macht denn nun so ein nettes Mädchen wie du in einem Auto wie diesem?« fragte er sie.
»Ha?« Sie sah ihn, aus ihren Gedanken gerissen, verwirrt an.
Er lächelte. »Warum du? Warum Las Vegas? Du lebst genau wie ich am Rande der Gesellschaft. Erzähl mir was von dir.«
Sie zuckte die Achseln. »Da gibt’s nicht viel zu erzählen.
Ich war Studentin an der Universität von New Hampshire in Durham. Das liegt in der Nähe von Portsmouth. Ich hab’ im letzten Jahr dort angefangen und außerhalb des Campus mit einem Kerl zusammengewohnt. Wir sind da in eine schlimme Drogensache hineingeraten.«
»Meinst du etwa Heroin?«
Sie lachte belustigt. »Nein, ich hab’ nie jemanden kennengelernt, der Heroin spritzt. Wir netten kleinen Mittelklassefi-xer bleiben lieber bei den Halluzinogenen. Lysergsäure, Meskalin, manchmal auch Peyote und LSD. Chemische Drogen eben. Zwischen September und November hatte ich so sechzehn oder achtzehn Trips.«
»Wie ist das denn so?« wollte er wissen.
»Meinst du damit, ob ich einige Horrortrips hatte?«
»Nein, das habe ich überhaupt nicht gemeint«, antwortete er abwehrend.
»Ich hatte einige schlechte Trips, aber die hatten auch schöne Teile. Und ich hatte einige gute Trips mit schlechten Phasen. Einmal habe ich mir eingebildet, ich hätte Leukämie.
Das war unheimlich. Im großen und ganzen sind alle Trips seltsam. Aber ich habe nie Gott gesehen und wollte nie Selbstmord begehen und habe auch nie versucht, jemanden umzubringen.«
Sie dachte einen Augenblick lang nach. »Ich finde, daß die Leute in bezug auf chemische Drogen fürchterlich übertreiben. Die gutbürgerlichen wie Art Linkletter sagen, daß sie einen umbringen. Die Freaks wiederum behaupten, daß sie einem alle Türen öffnen, die man in sich öffnen muß. Als ob man in sich einen Tunnel zu seinem wahren Selbst finden könnte. Und als ob die Seele so etwas wie ein Schatz aus einem Roman von H. Rider Haggard sei. Hast mal was von ihm gelesen?«
»Ich hab’ mal She gelesen, als ich noch ein Kind war. Ist das von ihm?«
»Ja. Glaubst du, daß die Seele so etwas ist wie ein Smaragd auf der Stirn irgend eines Götteridols?«
»Darüber hab’ ich nie nachgedacht.«
»Ich glaube das nicht«, sagte sie. »Ich werde dir den besten und den schlechtesten Trip erzählen, den ich mit dem Zeug hatte. Der beste war, als ich einmal in unserer Wohnung ausgeflippt bin und die ganze Zeit die Tapete angeschaut habe.
Sie hatte überall so kleine, runde Punkte, und .für mich wurden sie plötzlich zu Schnee. Ich saß über eine Stunde im Wohnzimmer und beobachtete den Schneesturm an der Wand. Plötzlich sah ich, wie sich ein kleines Mädchen durch den Schnee kämpfte. Es hatte ein Taschentuch über dem Kopf, ein sehr großes Tuch wie aus Sackleinen, und sie hielt es etwa so …« Sie hob eine Faust unters Kinn, als würde sie das Tuch festhalten. »Ich dachte mir, daß es nach Hause wollte, und, zack, ich hab’ tatsächlich eine richtige Straße an der Wand gesehen, die über und über mit Schnee bedeckt war. Das Mädchen stapfte die Straße entlang und verschwand dann in einem richtigen Haus. Das war der beste Trip. In unserem Wohnzimmer zu sitzen und Wandvision zu genießen. Jeff hat es später Kopfvision genannt.«
»Ist Jeff der Typ, mit dem du zusammengelebt hast?«
»Ja. Der schlimmste Trip war, als ich eines Tages das Abflußrohr von unserem Waschbecken reinigen wollte. Man kommt manchmal schon auf komische Ideen, wenn man auf einem Trip ist, aber in dem Augenblick kommt einem das völlig normal vor. Ich mußte dieses Abflußrohr unbedingt absaugen. Ich holte mir also den Sauger und fing damit an … und, dann stieg auf einmal all dieser Dreck hoch. Ich hab’ heute noch keine Ahnung, wieviel ich mir davon nur eingebildet habe und wieviel echt war. Kaffeesatz. Ein alter Hemdfetzen.
Große geronnene Fettklumpen. Eine rote Flüssigkeit, die wie Blut aussah. Und dann die Hand. Eine Männerhand.«
»Eine was?«
»Eine Hand. Ich rief sofort nach Jeff und wollte ihm sagen: ›He, da hat jemand einen Mann in unserem Abfluß runtergespült.‹ Aber Jeff war weggegangen, und ich stand ganz allein da. Ich habe wie der Teufel mit dem Sauger gearbeitet, bis
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